Herr Lehmann und die Büchervernichtung
Als Sven Regeners Buch „Der kleine Bruder“ vor wenigen Tagen herauskam, musste ich das natürlich sofort haben, um die Herr-Lehmann-Trilogie abschließen zu können. Leider war es kein gutes Buch, denn ich hatte es nach einem Tag bereits ausgelesen. Das ist vom Argument des Zeit-Totschlagen-Wollens kein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis, muss ich sagen. Aber inhaltlich ist es durchaus wieder … tja, wie soll ich sagen? Auf jeden Fall nicht schlecht, eigentlich besteht es zwar nur aus endlos sinnlosem Gequatsche von Leuten, die immer auf dem Sprung zur nächsten Party sind und dann auch noch alles immer wieder mehrfach wiederholen, aber genau das vermittelt ein sehr überzeugendes Bild vom Leben junger sympathischer Menschen in Westberlin in den 80ern. Klares Feindbild sind Touristen und Hippies, aber ich will hier keine Buchbeschreibung abliefern, man kann das ja selbst lesen. Jedenfalls habe ich dann überlegt, dass ich das zuerst erschienene (und zuletzt handelnde) Buch „Herr Lehmann“ eigentlich gleich noch im Anschluß wieder einmal lesen sollte. Und dann stand ich vorm Bücherregal, welches wir seit dem letzten Vorrichten nicht wieder sortiert eingeräumt hatten und fand nichts. In einem spontanen Anfall opferte ich den Sonnabend und fing an, alles alphabetisch zu sortieren. Nachmittags hatte ich alles geordnet. Was fehlte, waren die beiden „Herr Lehmann“-Bücher. Die sind weg. Die muss ich irgendwem verliehen haben. Aber wem? Ich habe keine Ahnung. Jetzt muss ich sie möglicherweise nachkaufen, weil ich doch diese Trilogie vervollständigen wollte.
Beim Regal-Einräumen ist es dann jedenfalls wieder passiert, dass ich vor schwerwiegende Probleme gestellt wurde, weil mir Sachen in die Hände gerieten, von denen ich wusste: Die stehen nur herum und nehmen Platz weg. Und ich werde sie definitiv nie wieder lesen! Was macht man damit? Darf man Bücher einfach wegwerfen? Darf man Bücher vernichten?
Das geht rein aus ethischen Gründen nicht. Als Deutscher ist man da vorbelastet. Und dann bin ich ja als Ostdeutscher praktisch nochmal doppelt vorbelastet und ethisch verpflichtet, wirklich jedes Buch zu bewahren. Denn 1989, als die Wende kam… was da für Bücher vernichtet werden sollten! Ich sag nur: Die Wessis … die ham‘ doch damals alles platt gemacht … ging doch alles den Bach runter damals … Gut, ich erkenne jetzt zwar selbst den Zusammenhang nicht mehr, aber es hat schon irgendwie etwas damit zu tun. Jedenfalls sollten doch 89 ganze Lagerhallen von DDR-Büchern eingestampft werden – angeblich weil das kein Schwein mehr kaufen würde. Doch das haben ja damals die Wessis gesagt, und da weiß man doch gleich … Egal. Jedenfalls habe ich deshalb natürlich – wie jeder andere Ossi auch – noch irgendwo draußen auf dem Land eine Scheune stehen, wo 800 Tonnen gerettete Reclam-Ausgaben Volker Braun lagern.
Ja, aber darf man nun Bücher wegwerfen? Na, sicher darf man das. Habe ich ja auch getan. Ein Buch ist nichts anderes als ein Stapel bedrucktes Papier. Ein Industrieprodukt. Dass man zum Beispiel vor Eva-Hermann-Büchern nicht andächtig auf die Knie fallen muss, dürfte wohl klar sein. Ab in die Tonne damit. Da heute alles digital gespeichert ist, geht auch nichts von den Inhalten verloren. Leider.
Wenn man natürlich gerade vor dem Papiercontainer steht und das weltweit letzte Exemplar von – beispielsweise – Nina Hagens „Ich bin ein Berliner“ in den Händen hält, dann sollte man schon noch einmal kurz nachdenken, ob man soeben das richtige tut.
Der Container „Knüllpapier“ ist dafür nämlich der falsche.