Kann Dresden bis 2035 klimaneutral werden?

Am 15. Dezember 22 sollte im Dresdner Stadtrat über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens „Klimaneutralität für Dresden bis 2035“ entschieden werden [1, 2]. Allerdings beschloss der Stadtrat, die Forderung gleich selbst umzusetzen, um sich den Aufwand für den daraus resultierenden Bürgerentscheid zu ersparen. Ich hätte mich an ihm beteiligt und dafür gestimmt. Hauptsächlich, um nachher sagen zu können: „Seht Ihr – habe ich doch vorher schon gesagt, dass das nicht funktionieren kann!“

Denn wie sollte eine solch fundamentale Umstellung in so kurzer Zeit funktionieren? Bis zu diesem Termin sind es nur noch 12 Jahre. Genaugenommen sogar weniger, denn zunächst muss von der Stadt erst einmal der notwendige Maßnahmenkatalog erarbeitet werden.

Ich denke, wenn man schon per Beschluss Dinge durchsetzen will, die unrealistisch erscheinen, dann sollte man konsequenter sein. Wenn man schon einmal dabei ist – warum nicht gleich auch noch die Einführung des Warp-Antriebes und des Replikators bis 2035 mit beschließen? Beamen als Fortbewegungsmittel nicht vergessen, das spart sicher eine Menge fossile Treibstoffe. Klotzen statt kleckern, sollte hier die Devise sein!

Im Ernst: Ich finde es ja gut, über Klimaschutzmaßnahmen nachzudenken, die wir hier vor Ort umsetzen können. Ein paar Dinge können wir in der Stadt sicher verbessern. Aber Klimaneutralität? Und das auch noch so schnell?

Wenn man sich bei technischen Entwicklungen und Großprojekten anschaut, welche Zeitspannen zwischen ihrem Entwurf und der Fertigstellung vergingen, zeigt sich, dass dabei oft einige Jahre ins Land gingen. Insofern erscheint ein Großprojekt wie die Umstellung auf Klimaneutralität einer gesamten Stadt in nur 12 Jahren auf jeden Fall sehr gewagt. Wir haben es in Dresden in mehr als 30 Jahren noch nicht einmal geschafft, die Königsbrücker Straße zu sanieren. Das mag ein außergewöhnlich drastisches Beispiel sein, aber städtische Projekte, die sich lange hinziehen, findet man zur Genüge.

Im Stadtrat wurde das Thema von einem Gastredner eröffnet, der dazu ein Beispiel aus dem Bereich technischer Entwicklungen nannte. Nils Alag (CEO der Dresdner Firma Sunfire GmbH) erzählte, dass sein Unternehmen im Jahr 2010 gegründet wurde und seitdem fast 12 Jahre benötigte, um ihre Elektrolyseanlagen zur Marktreife bringen. „In 12 Jahren ist extrem viel möglich“, sagte er in seiner Rede. Das kann man aber auch genau andersherum sehen: Allein die Entwicklung dieser einen technischen Lösung hat schon so lange gedauert. Sollte man für die energiewirtschaftliche Umgestaltung einer ganzen Stadt also nicht mehr Zeit einplanen?

Aber vielleicht haben die Initiatoren des Bürgerbegehrens – DresdenZero – konkrete Vorschläge, die schnell umsetzbar sind? Leider nein. Konkretes findet sich auf ihrer Website nicht. Da wird nur auf die Vorschläge von GermanZero verwiesen [3]. Diese sind aber teilweise in Städten nicht umsetzbar (zB. Änderungen bei CO2-Bepreisungssystemen, Änderungen in der Landwirtschaft, mehr Bahnhöfe bei der Bahn) oder sie enthalten allgemeine Vorschläge, die längst bekannt sind und an denen ohnehin gearbeitet wird (Ersatz fossiler Energiequellen durch Erneuerbare in Haushalten, Fahrzeugen und in der Industrie sowie energetische Gebäudesanierung).

Der eigentliche Punkt im Bürgerbegehren war die schnellere Umsetzung des Integrierten Energie- und Klimaschutzkonzepts der Landeshauptstadt Dresden (IEKD). Dieses wurde vor fast drei Jahren in Auftrag gegeben und sollte an das 2013 beschlossene „Integrierte Energie- und Klimaschutzkonzept Dresden 2030“ [8] anknüpfen. Leider passierte damit nicht viel, obwohl es in den Bereich unserer bisherigen Umweltbürgermeisterin, Eva Jähnigen (Bündnis 90/Die Grünen) fiel.

Nebenbei: Im diesjährigen OB-Wahlkampf betonte Frau Jähnigen ständig ihre Kompetenz in Sachen Klimaschutz. Besser wäre es gewesen, wenn sie diese Kompetenz in den bisherigen Jahren beim IEKD schon einmal sichtbar gemacht hätte.

Jedenfalls soll das Konzept nun bis Ende 2023 fertiggestellt werden. Bisher war als Ziel darin angegeben, Klimaneutralität bis „deutlich vor 2050“ zu erreichen. Das soll jetzt auf 2035 vorverlegt werden:

Der Oberbürgermeister wird beauftragt, im Rahmen der beschlossenen Überarbeitung des Integrierten Energie- und Klimaschutzkonzepts der Landeshauptstadt Dresden (IEK) das Ziel der Klimaneutralität bis 2035 festzuschreiben und den entsprechenden Maßnahmenkatalog auf dieses Ziel auszurichten.

[2]

Schnell umsetzen könnte man Klimaschutzmaßnahmen, die dem Klima nur auf dem Papier nutzen. Umstieg auf Ökostrom böte sich da an. Das ändert zwar gar nichts und ist reiner Selbstbetrug, aber man fühlt sich gut damit und kann es positiv abrechnen. Man könnte auch CO2– Ausgleichsmaßnahmen, z.B. Baumpflanzungen in der 3. Welt finanzieren. So werden die hier weiter verbrannten fossilen Energieträger scheinbar kompensiert. Aus den unterirdischen Lagerstätten gefördert und als CO2 in die Atmosphäre gebracht werden sie allerdings trotzdem noch.

Wie kann echte Klimaneutralität erreicht werden? Dazu müssten sämtliche fossilen Energieträger durch echte Ökostromquellen ersetzt werden. KFZ müssten alle durch E-Autos ersetzt werden. Ist es realistisch, dass alle Dresdner bis 2035 auf E-Autos umgestiegen sind? Definitiv nicht. Autos werden in Deutschland im Schnitt etwa 10 Jahre genutzt (die Quellen schwanken zwischen 8 bis 12 Jahren). Neuwagen sollen erst ab 2035 CO2-neutral sein, bis dahin werden Dresdner wahrscheinlich noch Verbrenner kaufen oder als Gebrauchtwagen übernehmen. Schon deshalb ist das Ziel der Klimaneutralität bis 2035 unrealistisch.

Dazu kommt auch, dass diese E-KFZ mit Ökostrom geladen werden müssten. Woher soll der kommen? Reicht es, alle Dächer mit Solaranlagen zu bestücken? Dann könnte man die Fahrzeuge zwar tagsüber laden (im Winter nur bedingt), aber es wäre ein Ansatz. Bei E-Autos würde immerhin das Speicherproblem entfallen, denn sie sind der Speicher. Die für PV-Anlagen in Dresden nutzbare Dachfläche ist farblich markiert im Solarpotential-Dachkataster des Dresdner Themenstadtplans zu sehen. Wieviel Leistung wäre darauf installierbar?

Die letzten bekannten Daten geben an, dass so 22 GWh pro Jahr erzeugt wurden. Damit könnte man rein rechnerisch täglich rund 1.000 E-Autos mit einer mittleren Akkugröße laden. In Dresden gibt es aber mehr als 270.000 KFZ. Tendenz steigend.

Einen Einfluss hat die Stadt nur auf kommunale Gebäude. Im Zwischenbericht von 2022 zum IEKD 2030 [8] steht zu deren Nutzbarkeit:

Eine Studie des Leibniz-Instituts für ökologische Raumentwicklung (ÖR) hat die Solarpotenziale auf kommunalen Dächern und an Fassaden untersucht. Allein mit der Nutzung der gut geeigneten Dächer (…) könnte die Landeshauptstadt Dresden jährlich 32 GWh Strom erzeugen. Bei Erweiterung der Betrachtung auf alle Dächer und Fassaden ließen sich jährlich 61 GWh Strom erzeugen.

Das würde also nicht ausreichen. Und es müssten ohnehin nicht nur die fossil betriebenen KFZ ersetzt werden. Der Verkehr macht nur etwa ein Viertel unserer CO2-Emissionen aus. Die Hälfte entfällt auf Industrie, das verbleibende Viertel auf die Haushalte (rund 2 % auf kommunale Einrichtungen [7]). Wo soll der viele Ökostrom herkommen, um die dort bisher verwendeten fossilen Energieträger zu ersetzen? Den können wir im Stadtgebiet auf keinen Fall produzieren. Hier sind wir vom Ausbau der Quellen im Umland abhängig. Und dabei kommt auch wieder das ungelöste Speicherproblem zum Tragen – fehlender Wind wird selbst dann nicht entstehen, wenn wir seine Notwendigkeit per Bürgerentscheid beschließen.

Grafik Treibhausgasemissionen Dresden: 50% Industrie, je etwa 25 % KFZ und Haushalte

Treibhausgas-Emissionen Stadtgebiet Dresden aufgeteilt auf Sektoren
Quelle: dresden.de, Treibhausgasbilanz [4]

Mit welchen Technologien soll das alles umgesetzt werden? In den Haushalten läuft es auf Wärmepumpen hinaus. Haben wir genug Handwerker für deren Einbau? Definitiv nicht. Und wie soll unsere gesamte Industrie so schnell dekarbonisiert werden?

Es wird auch an weiteren Details scheitern. Ein Beispiel ist Zement. In Dresden wird immer irgendwo etwas gebaut. Dazu benötigt man Zement. Zement verursacht einen großen Anteil unserer CO2-Emissionen. Das hat zwei Ursachen. Eine davon (die Prozesswärme) könnte man prinzipiell aus nichtfossilen Quellen erzeugen, was allerdings (momentan noch) zu teuer ist. An der zweiten Ursache kann man aber nichts ändern, denn bei dem chemischen Prozess der Herstellung entsteht CO2. Ein Teil wird zwar später beim Abbinden wieder aufgenommen, aber insgesamt wird mehr emittiert. Das könnte man nur mit CCS (Carbon Capture and Storage) verhindern, indem man das Gas auffängt und unterirdisch einlagert. Die in den 90er Jahren bereits erfolgreich durchgeführten deutschen Pilotprojekte scheiterten (wie üblich) an Bürgerinitiativen, den Grünen und zum Schluss allgemein an der Politik.

Erstaunlicherweise hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vor wenigen Tagen angekündigt, CCS in Deutschland doch wieder zu ermöglichen. 2023 soll ein entsprechendes Gesetz „auf den Weg gebracht“ werden. Die üblichen Gegner protestieren bereits. Aber selbst ohne Gegner erscheint es viel zu optimistisch, dass unsere Zementproduktion bis 2035 mit CCS klimaneutral sein wird.

Allerdings sollte man so gar nicht herangehen und die technische Umsetzbarkeit hinterfragen. Im Stadtrat wagte sich das Herr Wirtz (LINKE) und äußerte entsprechende Skepsis. Er wurde umgehend von Herrn Lichdi (Dissidenten) mit scharfe Worten als „Verteidiger des zentralistischen fossilistischen Komplexes“ kritisiert. Und so etwas geht nun wirklich gar nicht.


Quellen und weitere Artikel

[1] 45. Sitzung des Stadtrates – 15.12.2022
[2] Ö16: Entscheidung über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens DresdenZero: Klimaneutralität für Dresden bis 2035
[3] GermanZero, 1,5-Grad-Gesetzespaket Kurzfassung
[4] Dresden.de, Treibhausgasbilanz von Dresden
[5] Livestreamaufzeichnung der Stadtratssitzung auf YouTube
[6] Sächsische Zeitung, 28.09.2022: Bürgerbegehren: Werden die Dresdner bald zur Wahlurne gerufen?
[7] MDR, 06. 11. 2022: Schafft Dresden die Klimaneutralität bis 2050?
[8] Integriertes Energie- und Klimaschutzkonzept Dresden 2030, alle Dokumente und Zwischenberichte seit 2013


was seitdem passierte:

29.12.22: Baubürgermeister Kühn gründet Stabsstelle zur Prüfung, wo es Potenziale für Solaranlagen auf öffentlichen Gebäuden gibt.

7.5.23, Sächsische Zeitung „Weitere Verzögerung bei Dresdens Klimaschutzkonzept„. Verkürzter Auszug:

Das neue Energie- und Klimaschutzkonzept lässt weiter auf sich warten. Ein halbes Jahr beträgt die erneute Verzögerung, bestätigt Umweltbürgermeisterin Eva Jähnigen (Grüne). Wie es ausgerechnet bei ihrem Prestige-Projekt dazu kommt, kann Jähnigen allerdings nicht erklären. „Ich habe es bei meiner Rückkehr so vorgefunden“, sagt sie – und spielt damit auf ihre unfreiwillige Auszeit an. Jähnigen ist eine der Bürgermeisterinnen, deren Amtszeit im Zuge des Dresdner Bürgermeisterstreits auslief. Konkret war sie von September 2022 bis Januar 2023 nicht im Amt, konnte erst, nachdem der Stadtrat den Schlichterspruch beschlossen hat, wiedergewählt werden. Offenbar ist das Thema in Jähnigens Vakanz nicht mehr als Priorität behandelt worden. Klar ist dagegen: Die Zeitpläne wackeln gewaltig. Denn eigentlich sollte der Stadtrat im Frühjahr 2024 das neue Klimaschutzkonzept beschließen.

„Das Schneckentempo beim Klimaschutz in Dresden ist inakzeptabel“, so SPD-Stadtrat Stefan Engel. Den Auftrag zur Fortschreibung des Klimaschutzkonzepts habe Jähnigen im Januar 2020 bekommen. „Seitdem verstreicht eine Frist nach der anderen“, kritisiert Engel. „Ursprünglich war ein Beschluss Mitte 2022 vorgesehen, nun kommt das ganze Konzept nicht einmal vor der Kommunalwahl 2024“.

25. 2. 24: Laut Eva Jähnigen wird es nichts mit der Klimaneutralität bis 2035.

2 Comments

  1. Guten Morgen. Erst mal wünsche ich speziell Frank und allgemein allen Liebenden und Hassenden ein gutes neues Jahr.

    So wie das alte aufgehört, fang ich das neue gleich mal an. Nämlich mit Klugsch.

    „Autos werden in Deutschland im Schnitt etwa 10 Jahre genutzt“

    Der verlinkte Focus-Artikel ist ein bisschen wurstig. Besser ist Statista. Dort lesen wir (Stand 2014) „Lebensdauer von Autos in Deutschland 2014 … Der Durchschnitt liegt bei 18 Jahren“. Dazu passt die Angabe für 2021 „die in Deutschland zugelassenen Personenkraftwagen sind im Durchschnitt 10,1 Jahre alt“.

    In der letzten Zeit stolpert man immer wieder über die absurde Propaganda, dass man den Verbrenner verschrotten sollte, um auf einen angeblich sauberen Elektrokarren umzusteigen. Offenbar wissen diese Fuzzis nicht, dass die Herstellung eines Autos schon mal ganz ordentlich Ressourcen verbraucht und die Herstellung des Stroms ebenso. Mal ganz abgesehen davon, dass wir uns gerade aus der Stromerzeugung verabschieden.
    Aber vielleicht seh ich das alles nur viel zu pessimistisch. Wie man so hört, kommt der Strom aus der Steckdose; Kraftwerke sind eine lästige Begleiterscheinung, kann weg. Notfalls gewinnen wir den Strom aus Kühlhühnchen.

  2. Zwei Dinge sind wichtig!

    Erstens muß man in Deutschland im Überbietungswettbewerb stets die Nase vorn haben, egal wie realistisch die eigenen Aussagen sind.

    Zweitens muß man mit vereinten Kräften über Abweichler herfallen, welche auch nur leise Zweifel an der Machbarkeit von ‚Dekarbonisierungs- und Klimaneutralitäts – Phantasien hegen.

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