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Wie gelangt der Ökostrom zum Ökostromkunden? Wahrscheinlich gar nicht

Man müsste eine Firma gründen, die reinen Atomstrom anbietet! Diesen nicht ganz ernst gemeinten Gedanken hatte ich schon mehrfach. Meist, wenn ich über Unzulänglichkeiten von sogenanntem Ökostrom nachdachte. Leider ist es so wie mit vielen anderen nicht ganz ernst gemeinten Ideen: Irgendwann setzt sie ein anderer in die Praxis um. Und wird vielleicht sogar reich damit.

Reinen Atomstrom kann man seit kurzem beziehen. Bei einem Schweizer Unternehmen. Was hat dieser Tarif mit Ökostromtarifen gemeinsam? In beiden Fällen kommt der Strom aus physikalischen Gründen höchstwahrscheinlich nie beim Kunden an. Wenn man nicht in direkter Nähe des produzierenden Kraftwerks wohnt, ist das praktisch ausgeschlossen. Und das gezahlte Geld fließt ins Ausland. Entweder in die Schweiz (bei Atomstrom) oder nach Österreich (bei Ökostrom).

Warum sollte Ökostrom nie beim Kunden ankommen? Weil Strom immer aus dem nächstgelegenen bzw. nächstgelegenen stärksten Kraftwerk kommt. Reiner Ökostrom dagegen wird bis auf wenige Ausnahmen grundsätzlich im Ausland eingekauft oder stammt bestenfalls aus grenznahen Wasserkraftwerken, die sich in ausländischem Besitz befinden. In Deutschland produzierter Strom aus Windkraft-, Solar- oder Wasserkraftanlagen geht dagegen schon in den deutschen Strommix mit ein und kann nicht noch einmal als reiner Ökostrom verkauft werden.

Deshalb müssen Ökostromanbieter weit entfernte Quellen nutzen. Wenn ich für meine Stadt nach Ökostrom suche, finde ich zum Beispiel diese Firma, die immerhin mit „Wirklich Ökostrom für Dresden“ wirbt. Woher bezieht sie ihre Energie? Unter „Unsere Energiequelle für Dresden“ ist das Wasserkraftwerk Feldkirchen angegeben. Dieses liegt in Südbayern und gehört der österreichischen Verbund AG. Spaßeshalber hatte ich im August einmal bei der Firma angefragt:

Wie soll das technisch funktionieren, dass dieser Strom aus so weit entfernten Quellen bei uns in Dresden auch ankommt? Soweit mir bekannt ist, kommt der Strom rein technisch immer aus dem nächstgelegenen Kraftwerk. Wie gelangt Ihr Strom zu mir nach Dresden?

Als Antwort erhielt ich einen Hinweis auf den FAQ-Bereich ihrer Website, wo erklärt wird

Am besten stellst du dir das Stromnetz wie einen großen See vor. Jeder Haushalt ist an diesen See angeschlossen und bezieht den Strommix des Sees. Gespeist wird der See aus vielen unterschiedlichen Quellen. Du entscheidest, ob der Stromsee für dich aus regenerativen oder fossilen Quellen gespeist wird.

Die Erklärung klingt zwar toll, ist aber leider falsch. Ich schrieb deshalb noch einmal zurück:

… leider haben Sie mir meine Frage nicht befriedigend beantwortet. Das Stromnetz kann man sich keineswegs als einen See vorstellen. Ein See ist ein Speicher, in den man tatsächlich überall, aber auch zu jeder Zeit etwas hinein schütten kann und aus dem man sich zu jeder Zeit und an jedem Ort etwas entnehmen kann. Seine Oberfläche ist immer glatt, es gibt also keine Stellen im See mit zu wenig oder zu viel Wasserstand. Das Stromnetz ist aber schon einmal kein Speicher und man erhält auch nicht an jedem Ende des Stromnetzes die irgendwo anders eingegebene Energiemenge. Das Stromnetz hat im Unterschied zu dem See einen Widerstand – je länger die Leitungen, desto höher sind die Verluste. Wenn zwei gleichstarke Kraftwerke in dieses Netz einspeisen, dann erhält der Verbraucher deshalb vom nächstgelegenen Kraftwerk mehr Strom als vom weiter entfernten. Sind zwei unterschiedlich starke gleich weit weg, erhält der Verbraucher mehr Energie vom stärkeren Kraftwerk.

Wie soll es also technisch funktionieren, dass aus Ihrem weit entfernten Kraftwerk mit nur 38,2 WM der Strom bei mir ankommt, während direkt in unserer Stadt Gaskraftwerke mit einer Gesamtleistung von 288 MW stehen? Erhalte ich nicht nach wie vor die Energie von hier, statt aus Feldkirchen?

Eine weitere Antwort kam natürlich nie. Der Vergleich mit dem See (manche Anbieter geben auch eine Badewanne an) ist wirklich nicht haltbar. Allerdings findet man, wenn man die Funktion des Stromnetzes erklären will, in der Nähe von Seen oder Meeren durchaus einen sehr anschaulichen Vergleich: Ein zum Trocknen auf Pfählen aufgespanntes Fischernetz. Das erklärt ein Kraftwerksmeister sehr anschaulich in diesem Podcast (ab 54:42 min). In Kurzform kann man es sich so vorstellen, wenn wir das aufgespannte Fischernetz im Querschnitt betrachten und gedanklich ein paar Gewichte daran hängen:

Darstellung Stromnetz

Die roten Striche sind das Stromnetz. Ihre Höhe verdeutlicht die eingespeiste bzw. entnommene Leistung. Die schwarzen Balken sind die Kraftwerke, die blauen Kugeln die Verbraucher. Die Verbraucher entnehmen dem Netz Strom, ziehen sein Niveau also herunter, was von den Kraftwerken ausgeglichen wird. Ihre eingespeiste Leistung soll das Netz stabil auf einem Niveau halten. Die Verbraucher zwischen den Kraftwerken B und C werden also nie Strom aus dem Kraftwerk D erhalten. Die Verbraucher rechts von D werden nie Strom aus A und B erhalten, höchstens wenn C einmal ausfällt.

Ganz so einfach ist es in der Praxis zwar aus mehreren Gründen nicht, aber die grundsätzliche Funktionsweise kann man sich so vorstellen. Auf jeden Fall wird so gut wie nie ein Elektron aus einem Wasserkraftwerk an der österreichischen Grenze nach Dresden gelangen. In München hat man als Ökostromkunde immerhin geringfügig bessere Chancen.

Zwei ähnliche Mails wie die oben erwähnten schrieb ich an Greenpeace Energy eG. Diese Genossenschaft muss ich hier regelrecht einmal loben, da sie auch auf die zweite Mail antwortete und dabei ehrlich zugab:

Es ist in der Tat so, dass aus Ihrer Steckdose, auch wenn Sie zu Greenpeace Energy wechseln, der Strom aus dem nächstgelegenen Kraftwerk kommt. Strom ist physikalisch gesehen immer gleich und sucht sich auch immer den kürzesten Weg. Wenn Sie zu Greenpeace Energy wechseln, sorgen Sie aber einmal dafür, dass Ihr Geld nicht bei einem Atom- und Kohlekonzern landet, sondern bei einem Unternehmen, das in der Ausbau der erneuerbaren Energien investiert … Die physikalischen Gesetze können wir nicht ändern, aber gemeinsam mit unseren Kundinnen und Kunden können wir die Stromversorgung in Deutschland grüner machen.

Auch Greenpeace Energy nutzt fast nur Quellen im Ausland, abgesehen von  6 Windkraftanlagen mit vergleichsweise geringen Leistungen zwischen 0,15 bis 4 MW. Als Ökostromkunde lässt man sein Geld also ins Nachbarland fließen, während man seinen Strom ganz normal weiter von den örtlichen Stadtwerken erhält. Hat das wirklich einen Nutzen, wenn man so die „Stromversorgung in Deutschland grüner machen“ will? In Österreich können Betreiber von Donaustaustufen dank des Geldes aus Deutschland ihre Wasserkraftanlagen am Ende häufiger sanieren, was hauptsächlich den umliegenden österreichischen Verbrauchern nutzt. Aber in Deutschland bleiben die Einnahmen bei den Energieversorgern aus. Hier fließt dadurch kein Geld in Projekte mit grünem Strom. In der Umgebung Dresdens wird man die Stromversorgung nicht grüner machen können, denn weiter ausbaufähige Wasserkraft ist hier nicht mehr verfügbar. Und Wasserkraft wäre neben Biogas die einzige rund um die Uhr verfügbare Ökostromquelle. Wobei man das „Öko“ bei Biogas sehr anzweifeln kann.

Wie kommen die Betreiber aus den Stadtwerken eigentlich an ihr Geld, wenn sie doch Ökostromkunden auch beliefern, obwohl diese ihr Geld nach Österreich überweisen? Das läuft über RECS-Zertifikate bzw. deren modernere Form, das EECS-GoO-System. Beides unterscheidet sich nur durch die Rechtsform und läuft auf folgendes hinaus:

Beide Systeme sind ein Nachweissystem für die Einspeisung von Ökostrommengen. Wenn ein Stromanbieter eine bestimmte Menge dieser Zertifikate z.B. von einem Wasserkraftwerkbetreiber kauft, darf er dieselbe Menge seines verkauften Stroms als Wasserkraftstrom kennzeichnen (also als Ökostrom). Der Wasserkraftstrombesitzer muss die entsprechende Strommenge auch einspeisen, und muss sie aber als Nicht-Ökostrom („Graustrom“) an seine sonstigen Kunden verkaufen.

Bei diesen Zertifikaten kommt es aber nicht auf die Gleichzeitigkeit an. Beispielsweise könnte der Wasserkraftwerk-Betreiber die Menge seines zertifizierten Stroms an einem einzigen Tag einspeisen, während der Kunde seinen Strom natürlich über das ganze Jahr benötigt und verbraucht. Es ist viel leichter, einen Kunden mit Zertifikate-Ökostrom zu „versorgen“, als mit Ökostrom, der dann produziert wird, wenn der Kunde ihn benötigt. Was ja mit Windkraft zum Beispiel auch gar nicht geht.

Ein konkretes Beispiel: Ein deutscher Ökostromanbieter kauft Zertifikate von einem Wasserkraftwerksbetreiber in Österreich für 1000 kWh. Der deutsche Ökostromanbieter kauft weiterhin 1000kWh ganz normalen Strom. Hier kommen unsere Stadtwerke ins Spiel und erhalten von ihm die Kosten für ihren produzierten Strom. Der vielleicht sogar anteilmäßig aus Ökostromquellen kommen könnte, wenn auch nicht aus den vom Ökostromanbieter angegebenen. Unser Ökostromanbieter jedenfalls darf diesen normalen Strom aufgrund der erworbenen Zertifikate als Ökostrom kennzeichnen. Gleichzeitig muss  der Wasserkraftwerksbetreiber in Österreich dafür 1000 kWh Wasserkraftstrom einspeisen und als „Graustrom“ verkaufen. Aber das hätte er ja ohnehin getan, weil er seine Kunden in der Umgebung schon immer so belieferte.

Das hat also, abgesehen vom erkauften guten Gewissen, im Endeffekt nicht allzu viel Nutzen. Außer, dass man so noch ein paar Zwischenhändler mit bezahlt und dass es alles schön kompliziert macht.

Und dasselbe Prinzip hätte man – wenn man wollte – auch mit Atomstrom umsetzen können.

17 Comments

  1. Moin, ich bin mir einiger Maßen sicher, es ist alles eine riesige Abzocke. Mehr steckt da wohl nicht hinter. Ich habe damals schon gefordert, den Strom einzufärben. Wie sie es mit dem Benzin auch gemacht hatten. Ökostrom grün, Atomstrom durchsichtig, Windkraft blau usw.
    Danke für deinen Artikel, hoffentlich bekommen ihn viele zu sehen und lesen ihn auch. Ich werde meinen Teil dazu beitragen und ihn teilen und trotzdem bleibt er ganz.
    Ciao

  2. Wieder ein toller Artikel.
    Nur eine Frage, aber evtl hab ich den Artikel dann doch nicht richtig verstanden: Ist es denn nicht prinzipiell egal, wer und wo der Ökostrom produziert wird? Hauptsache er wird produziert, denn das bedeutet doch gleichzeit, weniger „Nicht-Öko“-Strom?

    Wenn man fair gehandelte Bananen kauft, dann werden die ja auch nicht in D produziert und das Geld geht auch über mehrere Zwischenhändler irgendwann an den Erzeuger im Ausland. Doch mit der Hoffnung, dass die Bananen in besseren Lebensbedingungen für den Bauern angebaut werden…

    Oder habe ich einen Denkfehler?

  3. @ Michael: Abzocke würde ich es nun nicht gleich nennen, denn es funktioniert ja auf gesetzlich festgelegten und damit legalen Bedingungen. Aber man kann den Abzocke-Effekt hier natürlich trotzdem sehen. Ich sehe es mehr als Selbstbetrug. Einerseits beim Verbraucher, um sich ein gutes Gewissen zu erkaufen. Und andererseits noch viel mehr bei unserer Regierung, weil sie mit dieser Methode so tun kann, als würde eine technisch funktionierende Sache doch irgendwie funktionieren.

    Danke fürs Teilen 🙂

  4. @ Andi: Zitat

    Ist es denn nicht prinzipiell egal, wer und wo der Ökostrom produziert wird? Hauptsache er wird produziert, denn das bedeutet doch gleichzeit, weniger „Nicht-Öko“-Strom?

    Nein, das ist nicht egal. Denn es wird ja mit der Methode keineswegs weniger Strom aus Kohle- oder Gaskraftwerken produziert. Unser Wasserkraftwerksbetreiber in Österreich produziert durch die Zertifikate auch nicht mehr Strom aus seiner Wasserkraft. Er hat bspw. ein 200 MW-Kraftwerk und produziert damit tagein, tagaus immer 200 MW, weil er schon immer seine Kunden im österreichischen (und vielleicht im grenznahen deutschen) Bereich mit dieser Menge Strom versorgen wollte. Das hat er auch schon vor der Energiewende so gemacht, als es die Bezeichnung Ökostrom noch gar nicht gab. Für ihn ist das einfach Stromversorgung mit einer sich anbietenden Methode – Österreich hatte nie so viele Kohlevorkommen, dafür aber viel Wasserkraft. Dank Energiewende gilt die nun zusätzlich als „Öko“ (was sie ja auch ist).

    Der Wasserkraftwerksbetreiber in Österreich kann nun zusätzlich zu seiner in gleicher Menge weiter produzierten Energiemenge auch noch Zertifikate verkaufen und macht dadurch einen zusätzlichen Gewinn. Der Ökostromkunde in weit entfernten Gebieten (also z.B. in Dresden) bezahlt zwar diese Zertifikate, aber über den Umweg seines Ökostromhändlers auch die örtlichen Stadtwerke, von denen er seinen Strom weiterhin erhält. Die drosseln ihre Produktion also keineswegs.

    Mit den Bananen ist das nicht vergleichbar, denn die kommen ja am Ende tatsächlich beim Kunden an.

  5. @ Andi: Nachtrag. Das mit den Bananen ist aber trotzdem ein schöner Vergleich. Verglichen mit dem Ökostromgeschäft würde es nämlich bedeuten, dass ein deutscher Obsthändler, der gern Bananen anbieten würde, aber mangels Transportmöglichkeiten keine hat, bei einem afrikanischen Bananenproduzenten Bananenzertifikate aufkauft, die ihn nachher berechtigen, deutsche Äpfel als Banane zu verkaufen 🙂

  6. Hallo Frank,
    das Thema kann man gar nicht genug ansprechen. Weil viele einfach nicht verstehen was sie da teuer bezahlen um ihr Gewissen zu beruhigen.
    Es geht mir die Hutschnur hoch wenn 100% Ökostrom versprochen wird aber nur in ganz versteckter Weise darauf hingewiesen wird das trotzdem Strommix aus der Steckdose kommt. Einen Blogbeitrag dazu hatte ich vor einiger Zeit auch geschrieben.

    Das Beispiel mit den Bananenzertifikaten ist super 😀

    LG Aurelia

  7. Frank : Auf jeden Fall wird so gut wie nie ein Elektron aus einem Wasserkraftwerk an der österreichischen Grenze nach Dresden gelangen.

    Hätten wir Gleichstrom-Überlandleitungen würde es ca. 100 Jahre dauern. Da wir aber Wechselspannungen benutzen werden die österreichischen Elektronen nur hin und her geschüttelt.
    Dafür dürfte Aurelias Hutschnur in ständiger Aufwärtsbewegung sein, wenn es Nacht und Windstill ist.

  8. Wie hoch sind denn die Zertifikatseinnahmen gemessen an den Einnahmen durch reine Stromproduktion ? Ist das vernachlässigbar oder ist der Wettbewerbsvorteil der für Ökostromproduzierende Betriebe ´zusätzlich zum regulären Stromverkauf entsteht relevant ?
    Ich verstehe das Argument das die Mehreinnahmen für ausländische Kraftwerke den Strom vor Ort nicht gründer machen und der durch Zertifiaktverkauf betuchtere Österreichische Wasserkraftbesitzer nicht mehr Strom verkauft bzw. der Bedarf dort deswegen nicht steigt.
    Könnte für den einheimischen Ökostromerzeugenden Betrieb ein Wettbewerbsvorteil entstehen der es Ihm ermöglicht ggf. kostenintensive Projekte wie Speicherunng von Elektrizität durch Lageenergie von z.b. Wasser zu realisieren und somit den Anteil von Ökostrom im Mixstrom zu erhöhen ?
    (da der Anteil ja in manchen Regionen natürlich begrenzt ist (kein Fluss in der Nähe, Elektrische Energie schlecht speicherbar etc.))
    Dann wäre ja wenigstens nicht die komplette Regelung Bullshit und hätte wenigstens einen Homöophatischen gehalt an Sinn.
    Ah und bevors kommt – nein Ich bin ganz regulärer Kunde der Stadwerke (hier Gottseidank die Lechwerke) und kein Bioenergiebezieher – wenn acuh andere Gründe mich davon abgehalten haben zu Ökostromanbietern zu wechseln als das Wissen um die Ökostromzertifikatsfarce (Ich dachte vormals, dass er regional nur soweit verkauft werden könne wie er dort auch eingespeist wird – die Unart eines „schein Export Import“ Geschäfts mit Strom kam mir wegen der technischen Absurdität nie in den Sinn)

  9. PS.: Danke für die Zeit und Mühe investigativer Arbeit die du hier reinsteckst.
    Ich habe fast keine Zeit und es ist so stressig jedesmal Stundelang nachzurecherchieren was denn nun Sache ist – bin froh eine neue Quelle nach Objektivität strebender Information gefunden zu haben

    kurz: Danke für das was du tust

  10. Wie hoch die Zertifikatseinnahmen sind, kann ich momentan nicht beantworten. Das wäre sicher noch einmal ein interessantes Recherchethema. Falls es jemand der Mitlesenden weiß, würde es mich auch interessieren.

    Wie meinst Du das, dass für „den einheimischen Ökostromerzeugenden Betrieb ein Wettbewerbsvorteil entstehen“ könnte? Wenn er auch Zertifikate verkaufen darf?

  11. Zu dem Fischernetz-Gleichnis: Dein Bild zeigt kein aufgehängtes Fischernetz sondern eine Wäscheleine. Und wenn die Elektronen nicht genug Schwung haben, ist es klar, dass es z.B. das Kraftwerk D nicht zum Verbraucher zwischen A und B schafft. So funktioniert der Transport von Elektroenergie offenbar nicht. Sonst bräuchte es keine Leitungen von MeckPomm nach Bayern. Sondern nur ein paar Strippen zwischen benachbarten Kraftwerken. Insofern ist der See, dessen Wasserstand die Spannung verdeutlicht, durchaus einleuchtender. Vielleicht sogar viele Seen mit Verbindungskanälen und Schleusen dazwischen.
    Und ja. Die Elektronen kriegt ein Ökostromkunde in Pieschen nicht aus einem Stausee oder einem Windrad, wahrscheinlich nicht mal von der DREWAG, weil wir Wechselstrom haben.

  12. Mein Bild zeigt ein Fischernetz von der Seite 🙂 Elektronen haben keinen Schwung, sondern bewegen sich von höheren zu niedrigeren Spannungspotentialen. Leitungen von McPomm nach Bayern und weiter haben schon Sinn. Ich habe ja extra geschrieben: „Ganz so einfach ist es in der Praxis zwar aus mehreren Gründen nicht, aber die grundsätzliche Funktionsweise kann man sich so vorstellen.“ Einer der Gründe, warum es nicht so einfach ist, hat damit zu tun, dass wir nicht nur ein Stromnetz haben, sondern mehrere. Konkret ist es der Verbund aus Höchst-, Hoch- und Niederspannungsnetz. Das Höchstspannungsnetz dient der Stromübertragung hoher Energiemengen über größere Entfernungen, also z.B. von der Küste nach Bayern. Allerdings werden darüber nicht ein paar MW gezielt von einem kleinen Wasserkraftwerk in Österreich zu einem Ökostromkunden in Dresden übertragen. Die Haushalte innerhalb kleinerer Regionen (Dörfer, Stadtteile) sind in Niederspannungsnetzen.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Stromnetz#Spannungsebenen

    Der See ist als Vergleich nur scheinbar einleuchtender, er bleibt falsch. Das Stromnetz ist kein Speicher. Die Bemerkung

    … wahrscheinlich nicht mal von der DREWAG, weil wir Wechselstrom haben.

    sollte hoffentlich ein Witz werden? Ansonsten würde ich mir eine lustige Bemerkung dazu ausdenken 🙂

  13. Echte Witze kann ich nicht. Ich meine mit dem ganzen nur, dass es egal ist, wer in einem Netz die Spannung/Wasserstand hochhält. Natürlich sollten die Erzeuger nicht nur in einer Ecke stehen, sonst sind die Transportwege mit Leitungsverlusten zu problematisch.
    Den See kannst du ruhig als Beispiel lassen, mit der Nebenannahme, dass er kein Speicher ist. (Geringer Wasserstand und er kriegt einen Überlauf.) Wenn im Netz zu wenig eingespeist wird, sinkt die Spannung und im See der Wasserstand. Irgendwann reicht es nicht mehr. Verbraucher fallen aus. Wird zu viel eingespeist, wird weggeregelt, der Überlauf läuft oder die Zuläufe werden gesperrt.

    Trotzdem kann sich ein Verbraucher (oder die Politik) die Erzeuger aussuchen, denn diese dürfen dann mehr erzeugen. Wie gut das in der Praxis funktioniert, ob wie man als verbrauchender Verbraucher behumst wird und wieviel Wasser dann immer im See ist, ist eine andere Frage.
    Es ist klar, dass das erwähnte Wasserkraftwerk immer gleichviel Leistung abgibt. Ist aber netzweit nicht mehr genug Leistung einer bestimmten Gattung da, wäre sozusagen der Moment erreicht, wo der Mechanismus erst greift und der Stromanbieter sagen müsste, du kannst keinen Ökostrom mehr kriegen, es gibt nicht genug.
    In der Praxis kommt das aber nicht vor, weil es genügend Verbrauchern egal ist, welche Farbe der Strom hat, den sie gern erzeugt haben wollen, selbst wenn sie direkt neben dem Wasserkraftwerk wohnen. Dann wird nur etwas verschoben. Die kriegen dann eben BK-Strom aus der Lausitz.

  14. Ein See, der kein Speicher ist – der Widerspruch fällt Dir aber hoffentlich selbst auf? Ein See ist immer ein Speicher oder er ist kein See. Der Vergleich bleibt falsch. Ökostromanbieter bemühen ihn, um eine vermeintliche Erklärung anbieten zu können, dass man Strom zum Zeitpunkt A ins Netz einspeisen und zum anderen Zeitpunkt B daraus entnehmen kann. Was eben nicht funktioniert.

    Trotzdem kann sich ein Verbraucher (oder die Politik) die Erzeuger aussuchen, denn diese dürfen dann mehr erzeugen.

    Jein. Die Politik kann natürlich Technologien fördern oder behindern. Aber bei der Stromversorgung geht das nur mit Technologien, die rund um die Uhr bedarfsabhängig Strom erzeugen können. Als Verbraucher kannst Du Dir das aber letztlich nicht aussuchen, Du kannst Dir bestenfalls einen Anbieter aussuchen, an den Dein Geld geht. Wenn in Deiner Stadt ein 200 MW-Wasserkraftwerk und ein 200 MW-Gaskraftwerk arbeiten, dann kannst Du zwar (verschiedene Betreiber vorausgesetzt) nur den Wasserkraftproduzenten bezahlen. Du wirst aber auch Strom aus dem Gaskraftwerk erhalten.

    Ist aber netzweit nicht mehr genug Leistung einer bestimmten Gattung da, wäre sozusagen der Moment erreicht, wo der Mechanismus erst greift und der Stromanbieter sagen müsste, du kannst keinen Ökostrom mehr kriegen, es gibt nicht genug.

    Ja, so müsste man es machen. Aber dann würde den Kunden ja auffallen, dass das gesamte Konstrukt „Energiewende“ gar nicht funktioniert, weil es viel zu häufig zu solchen Fällen käme.

  15. Ich verstehe ehrlich gesagt die Aufregung nicht ganz. Ich entscheide mich doch nicht für Ökostrom, um mein eigenes Land im Ökostrom-Bereich zu supporten sondern um die gesamte Welt auf diesem Gebiet voran zu bringen. Es nutzt mir überhaupt nichts, wenn in Österreich oder Deutschland Atomstrom und fossile Energien beseitigt werden, in den anderen Ländern aber Ressourcen und Natur weiter ausgeplündert werden. Das ist doch ein globales Problem. Und natürlich ist mir bewusst, dass es Verteilernetzwerke gibt und meist überall ein Strommix aus diesen Verteilern ankommt. Aber es ist doch trotzdem ein riesen Unterschied, ob ich meinen Beitrag einem Unternehmen gebe, dass die Verteilernetzwerke mit Atomenergie füttert oder einem Unternehmen, dass diese mit Ökostrom füttert. Je mehr Menschen ihr Geld Ökostrom-Unternehmen geben, desto größer wird auch der Anteil von Ökostrom in den Verteilernetzwerken. Ich bin übrigens selbst bei https://www.pullstrom.at/, die sagen, dass 91% ihrer Energie aus Kraftwerken und der Rest in Schweden generiert wird (Quelle: http://stromliste.at/versorger/pullstrom) – und natürlich unterstütze ich als erstes heimische Unternehmen. Es ist für mich aber kein Kriterium, um Ökostrom nach der Sinnhaftigkeit im Kampf gegen die Ausbeutung und die Schädigung unserer Umwelt zu beurteilen. Mir ist immer noch lieber die Menschen fördern Ökostrom im Ausland als Atomstrom und fossile Ernergien im Inland.

    Moritz

  16. @ Moritz:

    Je mehr Menschen ihr Geld Ökostrom-Unternehmen geben, desto größer wird auch der Anteil von Ökostrom in den Verteilernetzwerken

    Nein, keineswegs. Desto größer wird lediglich die Menge der gehandelten Zertifikate. Die produzierte Ökostrommenge wird dadurch nicht größer. Wenn Du Kunde bei Pullstrom bist, kaufen die ihre Zertifikate, wie sie ja selbst angeben, hauptsächlich von Wasserkraftwerksbetreibern aus Österreich (91,37%) und aus Schweden (8,63%). Denkst Du etwa, dass die Österreicher oder die Schweden nun zusätzliche Wasserkraftwerke bauen, nur weil Du in Deutschland Zertifikate kaufst? Der Strom der Österreicher geht ja an lokale Kunden (in Schweden genauso). An welche lokalen Kunden sollten sie denn in Österreich den zusätzlich produzierten Strom verkaufen? Man wird in Ö. und S. nur dann zusätzliche Wasserkraftwerke bauen (*), wenn dort auch ein erhöhter Strombedarf entsteht, z.B. durch neue Industriegebiete oder sowas. Der Anteil von Ökostrom in den Verteilernetzwerken steigt durch Dich als Ökostromkunde also keineswegs (es wird ja sowieso gar kein Strom verteilt, sondern nur Zertifikate), es steigt lediglich der als „Graustrom“ verkaufte Anteil von Strom aus den öst. und schw. Wasserkraftwerken. Den Betreibern kann das aber völlig egal sein – ihr Strom geht so oder so an ihre lokalen Kunden. Sie können den auch zu 100% als Graustrom einspeisen, da hat keiner in Ö. oder S. einen Nachteil davon.

    (* sofern das überhaupt möglich ist, in die Donau kann man z.B. keine weiteren Staustufen bauen – das ist schon alles ausgebaut)

    Mir ist immer noch lieber die Menschen fördern Ökostrom im Ausland als Atomstrom und fossile Ernergien im Inland.

    Dann bedenke aber auch, dass für jede im Ausland gehandelte kWh Ökostrom hier im Inland eine kWh aus lokalen Kraftwerken produziert werden muss. Im ungünstigsten Fall kann diese Menge sogar steigen, wenn Du z.B. auf ein E-Auto umsteigst. Dann kannst Du noch so sehr mehr schwedische Zertifikate bezahlen – im Endeffekt muss ein lokales Kraftwerk seine Leistung entsprechend erhöhen. Du erreichst mit der Methode gar nichts. Mal abgesehen von einem guten Gewissen, solange Du nicht genauer über den Ablauf nachdenkst.

  17. Danke für diese wirklich detaillierte Darstellung.

    Es gibt hier auch eine Studie, die den Nutzen von Ökostrom-Tarifen in Frage stellt, insbesondere wegen Doppelzählung des Ökostroms.

    Die kommen auf etwa 0,04 Tonnen CO2-Ersparnis pro Jahr für einen Ökostromtarif. Zum Vergleich, auf einen Kurzstreckenflug verzichten spart rund 0,60 Tonnen CO2.

    https://www.researchgate.net/publication/272382208_Review_of_green_electricity_products_in_the_United_Kingdom_Germany_and_Finland

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