Herpetologischer Jahresrückblick 2, Expeditionen
Abgesehen von meinen gelegentlichen morgendlichen Ausflügen in Elbhang-Täler, linkselbische Kiesgruben und zum Wilisch war ich auch bei 2 geführten Exkursionen mit: Im Juni bei der Jahresexkursion der DGHT-Stadtgruppe Dresden in den Thüringer Wald und später, Ende August, bei „Schlangenland – unterwegs in den Lebensräumen der Lausitzer Schlangen“ in der Umgebung von Kamenz.
In Thüringen sollten folgende Tierarten gesucht werden: Kreuzotter, Geburtshelferkröte und Fadenmolch. Los ging es auf dem Kickelhahn. Bei dem Wort macht es sicher bei jedem Menschen, der nebenbei Google und Wikipedia offen hat, „klick“ und man denkt: „Kickelhahn? Na klar – der olle Goethe!“ Denn dort entstand sein Gedicht „Über allen Gipfeln ist Ruh‘ …“, womit man sich in der Gegend noch heute rühmt. Bei Wanderausflügen dorthin sollte man keine depressionsgefährdeten Begleiter mitnehmen, denn das Gedicht endet bekanntlich mit den Zeilen
„ … Die Vögelein schweigen im Walde
Warte nur, balde
Ruhest Du auch. …“,
was bei solchen Leuten vielleicht nicht sehr optimismussteigernd wirkt. Aber viel wichtiger ist (und das findet man nicht bei Google oder Wikipedia), dass an und auf dem Kickelhahn auch eines der dichtesten Kreuzottern-Vorkommen Thüringens (oder war es sogar ganz Deutschlands bzw. zumindest Ostdeutschlands?) vorhanden ist. Unser Erfurter Führer „Uli“ aus dem Naturkundemuseum erzählte uns, dass dort schon beobachtet wurde, wie einzelne Kreuzottern den Wanderern um die Füße krochen, die auf Bänken Rast machten. Falls das nun zufällig ein solcher lesen sollte: Keine Panik! Das waren Ausnahmen. Kreuzottern beißen auch nicht einfach zu, sondern flüchten bei spürbaren Schritten. Und selbst wenn so eine mal zubeißt – davon stirbt man als Erwachsener nicht. Lediglich Kleinkinder sollte man nicht unbeaufsichtigt durch das Gebüsch kriechen lassen. Todesfälle durch Kreuzottern sind eine sehr seltene Sache – da passiert im Haushalt schlimmeres. Deshalb: Gehen Sie nicht in den Haushalt, sondern lieber mal Kreuzottern suchen!
Jedenfalls zeigte sich auf unserer Exkursion ein geringfügiges Problem: Ein massiver Frosteinbruch. Ich weiß nicht mehr, wie kalt es war, laut spontaner Meinungsausbrüche war es auf jeden Fall eine „Schweine-„ bis „Scheißkälte“. Ich hatte mir wegen der geplanten Nachtexkursion (Geburtshelferkröten) zu Hause lange Funktionsunterwäsche eingepackt und war heilfroh, diese früh angezogen zu haben. Logischerweise haben wir keine einzige Kreuzotter gesehen, nur eine am Nachmittag vorher im Oberhofer Exotarium als Terrarientier. Nachmittags entschieden wir, dass dieser Ausflug keinen Sinn hatte. Immerhin regnete es auch noch sehr kalt, weshalb absehbar nachts auch keine Kröten unterwegs sein würden. Deshalb änderten wir die Planung spontan auf eine Führung durch das Naturkundemuseum, da „Uli“ dort arbeitete, und dann fuhren wir wieder heim. Es war aber niemand von uns sauer – alle meinten, so etwas könne passieren, das sei nun einmal so mit dieser Natur. So sind wir halt, wir Naturfreunde. Es sei schon trotzdem interessant gewesen, sagten alle. Und das war es ja auch.
August, Schlangenbesuch in der Westlausitz.
Ich kam mit dem Fahrrad beim Treffpunkt in Kamenz an, also total ökomäßig, dort verteilten wir uns aber auf Autos. Denn die eingeplanten Biotope lagen zu weit auseinander, als dass man sie an einem Tag zu Fuß hätte erreichen können. Die anwesenden Schlangenspezialisten meinten, eigentlich sei der August schon zu spät, um noch Schlangen finden zu können, Mai wäre besser gewesen, aber man wolle mal sehen. Versprechen könne man freilich nichts, aber das sei ja klar, nickten auch die sonstigen Teilnehmer. Die große Hoffnung war, an dem Tag vielleicht eine Glattnatter zu finden. Wir brachen deshalb auch zunächst in einen Biotop auf, der als Glattnatternvorkommen bekannt ist. Als auf einer nahegelegenen Wiese Kraniche aufflogen, meinte unser Expeditionsleiter Uwe Prokoph, das sei das typische Dilemma der Herpetologen im Vergleich zu Ornithologen: Die Vögel sieht man, wenn sie da sind. Die Reptilien und Amphibien muss man richtig suchen, und obwohl vielleicht welche da sind, kann’s passieren, dass man keine findet. Ein anwesender Ornithologe schüttelte dabei etwas kritisch den Kopf, aber da ist schon was dran. Glattnattern haben wir natürlich nicht gefunden, dafür aber einige Blindschleichen, was für die mit anwesenden Kinder durchaus auch interessant war. Später ging es in ein Teichgebiet, wo Ringelnattern auf dem Suchprogramm standen. Unser Expeditionsleiter ging vorsichtig voraus, hechtete sich plötzlich spontan in einen Haufen herumliegender Äste, kämpfte dort mit irgendwelchen Dingen und kam mit der ersten Natter zurück:
Hier fanden wir auch wirklich mehrere Exemplare. Ich suchte nebenbei nach Laubfröschen und Rotbauchunken: Nichts zu finden. Das war schon seltsam, wie mir auch andere bestätigten. Zumindest junge Laubfrösche hätten überall herumsitzen müssen. Dafür hopsten Moorfrösche durch die Gegend und ich fand außerhalb des Wassers unter einem Stein einen Flusskrebs. Einen amerikanischen, also einen, der hier gar nicht hergehört und früher mal in Deutschland die Krebspest eingeschleppt hat. „Müsste man eigentlich töten“, meinte jemand. Aber wir sind erstens Naturfreunde, zweitens wäre das ja im universelleren Sinn auch fremdenfeindlich und drittens anti-amerikanisch, also durfte der Krebs wieder in den Teich. Selten sind die eigentlich nicht, aber einen Fund außerhalb des Wassers hatte ich noch nie.
Dann ging es noch zu einem bei Schlangenfreunden anscheinend sehr bekannten Friedhof, weil daneben auf den riesigen Komposthaufen alle drei in der Region vorkommenden Schlangenarten vertreten sind. Leider wieder nur theoretisch. Während Uwe über die Geschichte des Biotops berichtete, streifte ich durch das Gebüsch und fand natürlich keine Schlangen, dafür aber eine Zauneidechse. Also konnten wir wenigstens anschauen, was Glattnattern so fressen würden, wenn es welche gäbe. Im letzten Biotop, einer Waldschneise, sollte es auch noch einmal auf die Suche nach der Glattnatter gehen – angeblich gab es dort welche. Trotz intensiver Suche und vieler umgedrehter (und später selbstverständlich zurück gedrehter) Steine, Äste und sonstiger herumliegender Dinge: Nix mit Schlangen. Als später alle wieder versammelt waren, zog Uwe plötzlich eine Glattnatter aus einem Leinenbeutel, den er in seiner Westentasche versteckt hatte. Gamer würden sagen, das sei ja gecheated, aber es waren wohl keine solchen anwesend. Die Schlange war auch nicht von dort, sondern aus dem Bestand des Jugendökohauses. Als eingewöhntes Terrarientier war sie an solche (seltenen) Einsätze gewöhnt und wurde nun vorgezeigt. So hatten dann wenigstens noch alle Anwesenden gesehen, wonach sie den ganzen Tag die Natur abgegrast hatten.
Jetzt hätte ich beinahe vergessen, dass wir abschließend noch in einem Kreuzottern-Habitat waren, irgendein bekanntes Moor, dessen Name mir momentan nicht einfällt*. Dort, so berichtete einer der Spezialisten, hätte er kürzlich erst so eine Gruppe von Idioten aufgegriffen, die mitten im Moor, also im Naturschutzgebiet sogenanntes „Geocaching“ machen wollten. Unglaublich. Dazu schwieg ich mal lieber, denn über meine Arbeitsstelle werden solche Aktionen auch organisiert. Kreuzottern fanden wir dort übrigens wieder keine, was aber niemanden störte. Im Ausgleich erzählte uns Uwe, wie er als Jugendlicher hier immer mit dem bei Insidern (und sogar mir) bekannten Schlangenspezialisten Hans-Jürgen Biella unterwegs war, der sich ziemlich gut mit der Kreuzotter auskannte. Biella ist leider bereits verstorben – nein, nicht wegen eines Schlangenbisses, denn so schlüssige Drehbücher schreibt das Leben nun doch nicht. Jedenfalls muss er dort einmal beim Entlanggehen ein großes Ottern-Weibchen unter einem Grasbüschel verschwinden gesehen haben. Laut Uwe sprang Biella hinterher, griff mit der Hand (ohne Schutzhandschuh) unter das Gras, schrie „autsch!“ (gebissen), steckte die andere Hand unter das Gras und schrie nochmal „autsch!“ (nochmal gebissen). Als Erwachsener stirbt man wie gesagt nicht an einem Biss, aber nun waren es gleich zwei. Nun ja, er als Fachmann wusste, was zu tun war und fuhr aber immerhin noch selbst mit dem Moped zurück. Wenn man von einer Otter in die Hand gebissen wurde, schwillt diese angeblich ziemlich an und wird extrem schmerzempfindlich. Die kleinste Berührung tut dann wahnsinnig weh. Herr Biella hat trotzdem am nächsten Tag in der Groß-Särchener Kirche Orgel gespielt, weil er das schließlich jeden Sonntag tat. Aber ich will mal nicht alles vorweg nehmen sondern damit nur andeuten: Falls die Exkursion ins Schlangenland wieder einmal angeboten wird – nehmen Sie ruhig teil. Notfalls ist das auch ohne Schlangen interessant. Und lassen Sie sich die Geschichte von dem Kreuzotternbiss erzählen!
P.S. Die Word-Rechtschreibkontrolle hat vorhin 2 Dinge an Goethes Gedicht bemängelt. Nun ja, auch Goethe macht mal Fehler.
(* Nachtrag: Es war das Dubringer Moor)