Gedanken zu Jürgen Todenhöfers „7 Punkte über das Phänomen IS“
Unter der dicken Schlagzeile „Terrorismus hat mit Islam so wenig zu tun wie Vergewaltigung mit Liebe“ hat der Publizist Jürgen Todenhöfer kürzlich „7 Punkte über das Phänomen IS“ veröffentlicht. Das geht aktuell auf Facebook herum und gipfelt in begeisterten Kommentaren wie „Ich wünsche mir Herrn Dr. Todenhöfer als Bundeskanzler!“ und ähnlichem. Als Leser findet man im ersten spontanen Überschwang zwar oft etwas toll, aber wenn man speziell über Todenhöfers sieben Punkte noch ein zweites Mal nachdenkt, wirken einige davon dann gar nicht mehr so durchdacht. Eigentlich betrifft das sogar fast alle seiner Punkte. Gehen wir sie einmal durch:
1. Terrorismus hat mit Islam so wenig zu tun wie Vergewaltigung mit Liebe. 99,9 % der Muslime der Welt lehnen die Ideen des IS ab. Sie brauchen sich daher auch nicht für den IS zu entschuldigen. Wir Christen entschuldigen uns auch nicht für Bush & Co.
„Terrorismus hat mit Islam so wenig zu tun wie Vergewaltigung mit Liebe“ – dieser Vergleich hinkt nicht nur, der humpelt ganz gewaltig. Vergewaltiger begründen ihre Taten wahrscheinlich am seltensten mit Liebe, islamistische Terroristen ihre dagegen immer mit dem Islam. Todenhöfer mogelt hier auch etwas, indem er allgemein von Terrorismus schreibt, obwohl es beim Thema IS nur um die Teilmenge des islamistisch motivierten Terrorismus geht. Selbstverständlich hatte beispielsweise der Terror der RAF nichts mit Islam zu tun. Aber der Terror des IS hat das schon. Der selbstgewählte Name „Islamischer Staat“ deutet so etwas immerhin an.
Selbstverständlich muss sich die Mehrheit der Muslime dafür nicht entschuldigen, schon deshalb nicht, weil unter ihnen selbst die meisten Opfer der IS- und ähnlicher Terroristen sind. Aber sie sollten sich vielleicht Gedanken machen, warum ihre (und zwar nur ihre) Religion es immer wieder ermöglicht, Terror mit dem angeblichen Willen Gottes zu begründen.
2. Die tödlichsten Terrorinstrumente unserer Zeit sind Bomber und Drohnen. Über 90% ihrer Opfer sind Zivilisten. Auch Bush und Obama sind Terroristen, wenn sie Unschuldige töten. Krieg ist der Terrorismus der Reichen, Terrorismus der Krieg der Armen.
Klingt beim flüchtigen Lesen nachvollziehbar, ist aber aus mehreren Gründen nicht haltbar. Denn so arm sind die Kämpfer des IS schon einmal gar nicht, sondern sie scheinen im Geld zu schwimmen. Der IS-Terror ist also keineswegs der Krieg der Armen. Auch die jungen Deutschen, die sich dem IS angeschlossen haben, stammen nicht unbedingt aus armen Familien. Todenhöfers Aussage deutet auch an, dass Kämpfe, die von Armen begangen werden, irgendwie entschuldbarer wären als die von Reichen. Wenn aber in beiden Fällen nur ganz normale Zivilisten sterben, ist nichts von beidem entschuldbar. Übrigens könnte man auch fragen, ob die Kriege der USA tatsächlich die Kriege der Reichen waren? Eigentlich waren es nur bestimmte Personengruppen, die bestenfalls eine kleine Teilmenge aller Reichen darstellten. In den Kriegen der USA dürfte es oft mehr um Macht und um Einflussbereiche gegangen sein. Und genau darum geht es auch dem IS. Nichts von beidem ist besser oder entschuldbarer als das andere.
Warum schreibt Todenhöfer dann einen so redundanten Punkt aber überhaupt erst auf? Als Information für den Leser bleibt letztlich doch eine Entschuldigung für den IS hängen. Was bezweckt Todenhöfer mit solch einer Andeutung?
3. ‚Islamistischer‘ Terrorismus ist die Antwort auf zwei Jahrhunderte westlichen Terrorismus gegen die muslimische Welt. Der Westen hat unendlich mehr Muslime getötet als umgekehrt. Trotzdem müssen wir BEIDES BEENDEN: Krieg und Terrorismus. Jedes Leben ist ein Geschenk Gottes. Niemand hat das Recht, Gottes Werk zu zerstören.
Also sind wir im Westen nun wieder einmal an allem schuld? Müssen wir deshalb Verständnis für die IS-Terroristen haben? Und warum bringen die dann eigentlich hauptsächlich Muslime und andere Bewohner muslimischer Staaten um, wenn doch der Westen schuld ist? Und wieso schreibt Todenhöfer ‚Islamistischer‘ Terrorismus eigentlich in Anführungszeichen? Ist er etwa nicht islamistisch?
4. Der IS ist ein Baby des Westens. Entstanden als Reaktion auf George W. Bushs völkerrechtswidrigen Bombenkrieg gegen die Menschen im Irak. Wer jetzt den IS mit Bomben bekämpft, hat aus der Geschichte nichts gelernt. Bomben vernichten den Terrorismus nicht, sie züchten ihn.
Der IS ist „ein Baby des Westens“? Ich weiß nicht, ob Todenhöfer damit die Behauptungen „seriöser“ Quellen meint, die CIA und die USA ganz allgemein stecke einmal wieder hinter allem. Aber nur weil in der Anfangsphase des späteren IS Verbindungen zwischen einzelnen Personen davon und den USA nachweisbar waren, bedeutet das noch lange nicht, dass hinter dem heutigen IS ebenfalls die USA steckt. Oder meint Todenhöfer es nur so, dass der IS allgemein als Reaktion auf die Angriffe der USA in muslimischen Ländern entstand? Das kann sein, muss aber nicht. Vielleicht wäre der IS auch so entstanden. Bestrebungen, islamisch geprägte Gottesstaaten zu errichten, tauchten in der vergangenen Zeit in verschiedenen Ländern auf, auch ohne westlichen Eingriff. Es sind auch schon islamische Terrorgruppen in Ländern entstanden, wo vorher keine US-Angriffe stattfanden. Boko Haram ist ein Beispiel, die Taliban oder auch die Al-Shabaab-Miliz. Scheinbar funktioniert das auch ohne USA ganz gut. Und vielleicht ist es etwas phantasielos, immer nur in masochistischer Weise uns selbst die Schuld an allem zu geben.
Und übrigens haben Bomben möglicherweise in der Umgebung von Kobane sehr gut bei der Bekämpfung von IS-Stützpunkten geholfen. Manchmal sind die durchaus sehr effizient bei der Vernichtung von Terrorismus. Was wäre Todenhöfers Alternative speziell bei Kobane gewesen? Zuschauen und abwarten, ob es die Kurden allein schaffen?
5. Nicht der Westen, nur die sunnitischen Iraker und Syrer können den IS stoppen. Wenn im Rahmen einer großen nationalen Aussöhnung ihre Diskriminierung beseitigt wird und sie wieder voll am politischen Leben beteiligt werden. Der Westen aber hat im Orient nichts verloren.
Keine Ahnung, ob nur die Sunniten den IS stoppen können. Aber warum sollten wir sie dabei nicht unterstützen? Es müssen ja nicht immer gleich Bombardierungen sein. Vielleicht könnten wir wenigstens dabei helfen, diese Aussöhnung zu fördern und die Diskriminierung zu beenden? Wenn ja – wie, Herr Todenhöfer? Wie können wir helfen, die komplizierten innerarabischen Konflikte zu beheben?
Übrigens ist der Westen längst im Orient, zumindest auf wirtschaftlicher Ebene.
6. Der IS profitiert von den faschistoiden Hetz-Kampagnen gegenüber unseren muslimischen Mitbürgern. Bewegungen wie Pegida sind die nützlichen Idioten des IS. Der IS will einen Mittleren Osten ohne Christen, Pegida ein Europa ohne Muslime. Jede Pegida-Demonstration liefert dem IS weitere Argumente, seinen brutalen Kampf gegen andere Religionen zu verschärfen. Und züchtet neue Kämpfer.
Selbst Pegida-Kritiker behaupten eigentlich nicht, dass Pegida ein Europa ohne Muslime will. Mit seinem viel zu vereinfachten Vergleich, Pegida würde hier dasselbe tun wie der IS im Mittleren Osten stellt Todenhöfer Pegida auf eine Stufe mit dem IS. Das ist vielleicht doch ein wenig übertrieben, denn zwischen Rentnern, denen man bestenfalls mangelnden Durchblick unterstellen kann und mordenden und Frauen versklavenden Terroristen gibt es gravierende Unterschiede. Dass Todenhöfer damit umgekehrt auch den IS völlig verharmlost, kommt noch dazu.
Wenn Todenhöfer schreibt, „Bewegungen wie Pegida sind die nützlichen Idioten des IS“ – will er damit andeuten, dass jede Kritik an islamischem Terror falsch ist, weil diese Kritik ihn aus irgendwelchen Gründen erst recht bestärkt? Pegida hat immerhin als islamkritische Aktion begonnen. Eigentlich galt es noch vor wenigen Jahren unter uns Säkularen und Ungläubigen als völlig korrekt, religionskritisch auftreten zu dürfen. Warum sollte man eine Religion nicht kritisieren dürfen, wenn es an ihr deutlich sichtbare Kritikpunkte gibt? Gegenüber dem Christentum würde uns schon seit Jahrzehnten ein solches Denkverbot als völlig absurd erscheinen. Warum gilt dasselbe dann beim Islam seit den letzten Monaten verstärkt als tabu?
„Jede Pegida-Demonstration liefert dem IS weitere Argumente, seinen brutalen Kampf gegen andere Religionen zu verschärfen“ – ist es nicht eher sehr fraglich, dass sich Terroristen in Syrien und dem Irak für Teilnehmerzahlen irgendwelcher Demos in Dresden interessieren könnten? Eigentlich fanden die schlimmsten Verbrechen des IS bereits vor dem Entstehen von Pegida statt. Ein Zusammenhang zwischen Pegida-Demonstrationen und steigenden Todeszahlen durch den IS wurde bisher noch nirgends erwähnt.
7. Die meisten Rückkehrer aus dem ‚Islamischen Staat‘ sind Aussteiger. Dass sich die ganze Wucht unserer Staats- und Mediengewalt auf sie stürzt und sie wie Schwerstverbrecher behandelt, ist fast immer dumm. Wir sollten uns über Aussteiger – die kein Blut an den Händen haben – freuen und ihnen helfen. Sie könnten wichtige Verbündete werden.
Die armen IS-Heimkehrer aber auch – da stürzt sich die ganze Wucht unserer Staats- und Mediengewalt auf diese armen psychisch angeschlagenen jungen Menschen! Und das nur, weil sie unüberlegt in ein anderes Land aufgebrochen sind wegen dem harmlosen Hobby, dort ein paar Leute umzubringen … waren wir nicht alle einmal jung und haben Dummheiten gemacht? Deshalb sollten wir IS-Heimkehrer also keineswegs gleich bestrafen, sondern besser einen harmonischen Kuschelkurs mit ihnen fahren …
Entschuldigung Herr Todenhöfer, aber es ist ein Unterschied, ob ein Jugendlicher einmal Hasch vertickt hat oder ob er mit voller Absicht in ein anderes Land aufgebrochen ist, um dort Menschen zu ermorden. Das kann man auch nicht damit entschuldigen, dass diese armen Verblendeten irgendwelchen Leuten auf den Leim gegangen sind, denn es gibt auch noch so etwas wie Mitdenken und Eigenverantwortung. Man kann im täglichen Leben an vielen Stellen irgendwelchen Leuten auf den Leim gehen, zum Beispiel bei einem unvorteilhaft abgeschlossenen Handy-Vertrag. In solchen Fällen muss sich der Geschädigte oft anhören: „Selbst schuld – hättest Dich ja mal informieren können“. Aber wenn derselbe zu blöd war, einem Hassprediger zu misstrauen und sich deshalb einer Terrororganisation anschloss, dann sollen plötzlich andere Maßstäbe gelten? Wo kommen wir denn da hin? Was wäre das für ein Signal? Das Signal wäre: Wenn Du versehentlich jemanden überfährst, kommst Du ins Gefängnis, aber wenn Du im Irak einen Haufen Leute erschossen hast, musst Du nur behaupten, du hättest gar kein Blut an den Händen. Dann wirst Du hier freundlich begrüßt und anschließend mit dem Status „wichtiger Verbündeter der NATO“ ausgezeichnet. Also sollte man nach einem Verkehrsunfall mit Todesfolge schnell nach Syrien fahren und erst zurück kommen, wenn der Bart überzeugend islamistisch verzottelt aussieht ….
Mehr als „Abgelehnt!“ fällt mir dazu nicht ein.
„Aber sie [Muslime] sollten sich vielleicht Gedanken machen, warum ihre (und zwar nur ihre) Religion es immer wieder ermöglicht, Terror mit dem angeblichen Willen Gottes zu begründen.“
Wann genau ist Anders Breivik zum Islam konvertiert?
Gegenfrage: War Breivik primär christlich motiviert? Eigentlich nicht. Aber selbst wenn wir das als christlichen Terroranschlag durchgehen lassen: Ausnahmen bestätigen die Regel.
Welche Regel?
Oder weitergefragt: Wieviele Ausnahmen braucht es, um die hypothetische Regel: „Der Islam ist die einzige Religion, der Terror mit dem Willen Gottes rechtfertigt“ zum Vorurteil werden zu lassen? – http://en.wikipedia.org/wiki/Christian_terrorism Entsprechende Artikel dürfte es für andere Religionen (einschließlich des Buddhismus) geben. Woraus nicht folgt, dass Rechtfertigungen für Terrorismus religiöser Art sind.
Man kann sich natürlich künstlich unwissend stellen. War in der Welt in den letzten Jahrzehnten zu beobachten, dass christliche, jüdische oder buddhistische Terrororganisationen entstanden? Gab es wenigstens immer einmal wieder Einzelfälle? Eher nicht. Vor ein, zwei Jahren kam es tatsächlich einmal irgendwo zu einem Übergriff von Buddhisten auf Andersgläubige. Das fiel deshalb umso mehr auf, weil es so völlig untypisch war. Und insofern bestätigen solche Ausnahmen dann eben die Regel, dass diese betreffende Religion ansonsten friedlich ist, bzw. dass keine Extremisten auftreten, die ihre Verbrechen mit Auszügen der Religion begründen.
„War in der Welt in den letzten Jahrzehnten zu beobachten, dass christliche, jüdische oder buddhistische Terrororganisationen entstanden? Gab es wenigstens immer einmal wieder Einzelfälle? Eher nicht.“ – Mmm mir fallen aus dem Stand weitere Beispiele ein. Wer hatte z.B. Jitzak Rabin gekillt?
Obiger Link hielte weitere Beispiele parat. Nicht, dass es der Diskussion direkt schaden würde, wenn Sie sich den entsprechenden Artikel angesehen hätten. Aber Danke für die Unterstellung, dass ich mich künstlich unwissend stelle.
War ja fast absehbar, dass nun irgendein israelischer Jude als angeblicher Gegenbeweis angeführt wird. Zu dem Wikipedia-Artikel: Das läuft darauf hinaus, dass man sich alles zusammen kratzt, was in den letzten Jahrhunderten irgendwo vorgekommen ist. Ja, selbstverständlich wurde früher auch unter Christlicher Herrschaft viel gemordet. Streitet das jemand ab? Aber kann das eine Rechtfertigung dafür sein, dass radikale Muslime heute noch so mittelalterlich auftreten dürfen?
Zu dem Wikipedia-Artikel: Das läuft darauf hinaus, dass man sich alles zusammen kratzt, was in den letzten Jahrhunderten irgendwo vorgekommen ist. Ja, selbstverständlich wurde früher auch unter Christlicher Herrschaft viel gemordet.
In obigem Wikipedia-Artikel zu christlich motiviertem Terrorismus gibt es einen Abschnitt: „Contemporary“ (Ich musste selten so intensiv beim Lesen helfen.)
Natürlich wird auch durch aktuelle christliche Terrorakte keine Gewalt anderer Religionen legitimiert. Nur wird Ihr Satz „Aber sie [die Muslime] sollten sich vielleicht Gedanken machen, warum ihre (und zwar nur ihre) Religion es immer wieder ermöglicht, Terror mit dem angeblichen Willen Gottes zu begründen.“ dadurch als Vorurteil erkennbar.
Todenhöfer und seine steilen Vergleiche
sind ein besonderes Kapitel wenn es um Konfliktbeschreibungen im Nahen Osten geht.
Hier stellt er sich in einem
Interview einem Richter gleich um seine Reise zur IS zu rechtfertigen.
I.Ü. ist er ein Hamas-Freund und erklärt mal so nebenbei Israel zur Kolonie :
Ein großer Teil der Israelis, sog. Mizrachim, stammt übrigens aus arabischen Staaten. Das nur am Rande um zu zeigen wie der Mann so tickt.
Noch was am Rande, nach These 5, aber eigentlich das Wichtigste:
M.W. verläuft die Hauptbruchlinie und Mitursache für diesen Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten. Und da mischen auf schiitischer Seite die Perser kräftig mit.
Todenhöfer bewirbt offensichtlich sein Buch, welches er über seinen Besuch beim IS schreiben will.
Ansonst Gratulation zum neuen Aussehen.
@Michael-DD: Ja, der Herr Todenhöfer hat etwas gegen Israel und ist ein Freund der Hamas. Er hatte vor einem halben Jahr in der Hinsicht erst sehr viel „Glaubwürdigkeit“ erlangt mit seinen überhaupt nicht gestellten Fotos von Kinderspielzeug (Ironie Ende):
Die gestellten Propagandafotos des Jürgen Todenhöfer
Qualitätsspielzeug empfohlen von Todenhöfer
Gut zu hören, dass mein geändertes Blog-Design positiv ankommt 🙂
@Torsten: Ja, in diesem Wikipedia-Artikel gibt es einen Abschnitt “Contemporary”. Den hatte ich bemerkt. Und? Was ändert das? Der Unterschied in der Auflistung christlich motivierten Terrors auf der einen Seite und muslimisch motivierten Terrors auf der anderen Seite ist der: Auf Listen muslimischen Terrors findet man meist nur die wichtigsten Vorkommnisse, weil man ansonsten gar nicht hinterher käme, die vielen ständigen Anschläge und Gruppenbildungen radikaler Fundamentalisten aufzuschreiben. Auf der christlichen Seite wird dagegen das wenige terroristische (wie ich schon schrieb) aus längeren Zeiträumen zusammen gekratzt, was sich irgendwie unter „christlich“ verbuchen lässt. Diese Liste ist dann im Gegensatz zur muslimischen vollständig, aber immer noch überschaubar. Zusätzlich finden sich auf der christlichen Seite viele Fälle, die man eigentlich schwer als „primär christlich motiviert“ durchgehen lassen kann, auch wenn ihre Teilnehmer Christen waren. Der Ku-Klux-Klan beispielsweise bestand zwar aus Christen, aber letztlich gehörten damals fast alle weißen Amerikaner (sofern sie nicht Juden waren) dem Christentum an. Primär war der Ku-Klux-Klan aber zunächst einmal rassistisch, denn er war gegen Schwarze (die übrigens oft auch selbst Christen waren). Außerdem hatte der Ku-Klux-Klan etwas gegen Gewerkschaften und gegen Katholiken – was hat das mit „christlich“ zu tun?
Wieso wird mein Satz
dadurch als Vorurteil erkennbar? Begründen islamistische Terroristen ihre Verbrechen etwa nicht mit dem Islam?
Ich geb’s auf. Wer Breivik, Kony und LRA nicht als aktuelle Fälle christlich motivierten Terrors erkennt, und angesichts vieler Gegenbeispiele auf seiner Meinung beharrt, dass nur der Islam die Denkfigur der Rechtfertigung des Terrors durch Gott kennt, mit dem mag und kann ich nicht wirklich gut diskutieren.
Anyway, danke für die Diskussion so weit.
Wer sich Christ nennt, kann sich durch das Neue Testament nicht zum Mord und Terror legitimiert oder motiviert fühlen. Man muss das Christentum schon extrem verzerren und verfälschen, um damit solche Verbrechen wie die Morde der LRA zu begründen. Noch deutlicher: Man muss das Christentum extrem verzerren und verfälschen, um es als Staatsreligion oder als zwangsweise herrschende Religion einzusetzen.
Die Begründung ist ganz einfach: Das Christentum ist als Untergrundreligion entstanden, wurde später geduldet, aber bald auch brutal verfolgt. Die heiligen Schriften des Christentums entstanden in einer Zeit, als Christen keinerlei Macht ausüben konnte. Tragende Werte des Christentums sind Nächstenliebe und Vergebung. Wenn sich also ein Christ auf seine Werte besinnt, findet er allenfalls Begründung für bewaffnete Verteidigung, aber nicht für Aggression, Terror und Verbrechen.
Das ist im Islam anders. Die heiligen Schriften des Islam entstanden in einer Zeit, als dessen Urheber Macht ausgeübt und Macht verteidigt haben. Krieg gegen selbst definierte »Ungläubige« war der Normalzustand. Deshalb finden sich im Koran Stellen, mit denen der Tod von Ungläubigen, Aussteigern und Kritikern legitimiert werden kann.
Darüber hinaus gibt es aufgrund des damaligen Standes der Erkenntnis in Koran und Scharia auch Stellen, mit denen die Steinigung von »Ehebrecherinnen«, der Mord an Homosexuellen oder drakonische Amputationen legitimiert werden. Im Vergleichbar üble Stellen kann man im Alten Testament auch finden, aber sie sind (a) durch das Evangelium im Neuen Testament, (b) durch die Aufklärung und (c) durch die Trennung von Staat und Kirche heute bedeutungslos.
Bis heute gibt es zu wenig kritische, aufgeklärte Theologie des Islam. Bis heute werden Millionen Muslime auf den Buchstabenglauben fixiert und sie dürfen gar keine Aufklärung erfahren. Deshalb finden sich (zu) viele unaufgeklärte und ungebildete Menschen, die den Koran buchstabengetreu lesen und als Vorwand für Steinigung, Mord an Homosexuellen, Auspeitschungen oder auch den Mord an den französischen Zeichnern nehmen.
Und damit schließt sich der Kreis zu den Terrorbanden, die sich »christlich« nennen, ohne mit dem Sinn des Christentums etwas zu tun zu haben. Auch dorthin sind Aufklärung und Bildung kaum gedrungen, auch dort herrschen geistige und materielle Not …
@Torsten: Prinzipiell kann ich mich Stefanolix nur anschließen. Vielleicht noch so viel – ich schrieb im Artikel: „Aber sie sollten sich vielleicht Gedanken machen, warum ihre (und zwar nur ihre) Religion es immer wieder ermöglicht, Terror mit dem angeblichen Willen Gottes zu begründen.“ Vielleicht kann man über die Wortwahl dieser einen Stelle „und zwar nur ihre“ streiten. Aber würde sich grundsätzlich etwas ändern, wenn ich „fast nur ihre“ geschrieben hätte? Ist es etwa nicht der Islam, der ständig immer wieder durch militante Fanatiker auffällt? Bei allen anderen Religionen hält es sich deutlich in Grenzen. Oder ist das etwa nicht so.
Einer der Unterschiede gerade zum Christentum ist auch, dass das erste Aufkommen des Islam dadurch beschleunigt wurde, weil einige arabische Stämme in den frühen Schriften, die man Mohammed zusprach, Stellen fanden, die das Töten und Ausrauben Andersgläubiger gut hießen. Dadurch hatten diese Stämme, die schon vorher räuberisch lebten, plötzlich eine göttliche Legitimation für ihre bisherige Lebensweise. Genau auf diese Stellen berufen sich heute noch (bzw. wieder) die islamistischen Terroristen. Es ist also ein großer Unterschied zur Bibel. Wenn dort auch irgendwo nebenbei ein paar gewalttätige Stellen auftauchen, waren das aber noch nie Kerngedanken dieser Religion. Heutige Christen würden es nicht akzeptieren, wenn sich jemand trotzdem darauf beruft und anfängt, mit dem angeblichen Willen Gottes Leute umzubringen. Bei Koran sind es aber zentrale Aussagen und da die Aussagen des Koran praktisch unantastbar sind und als unkritisierbar gelten, sind Aussagen wie „Tötet die Ungläubigen, wo Ihr sie trefft“, leider keine Nebensächlichkeiten. Wichtig wäre, dass Muslime sich doch allmählich dazu durchringen, solche Aussagen auf den Prüfstand zu stellen und die Korantexte zu reformieren.
Sie meinen sicher die Auslegung des Korans, die Tafsir. Es gibt schließlich mindestens vier davon. Warum sollte es nicht eine fünfte geben, der Gegenwart angepasst. Aber da ist weithin leeres Feld.
Noch etwas OT : Bibel und Koran enthalten historische Texte. Wer sie ändern will fälscht. Abgesehen davon halte ich Luthers „Du sollst nicht töten“ für einen Übersetzungsfehler.
Eine „TextReform“ der 10 Gebote kann man hier nachlesen. Und das kommt dabei heraus,
wenn gewisse Frauen sich die klare Sprache Luthers zur Brust nehmen.
Ganz schlimm ist es wenn die
Kirche dem Genderwahn hinterher dackelt.
Okay, man muss den Koran nicht gleich gendern 😉 aber es muss lange Zeit tatsächlich mehrere Versionen des Koran gegeben haben. Erst 1924 hat man in Kairo aus (wenn ich mich nicht irre) fünf Versionen eine allgemein gültige bestimmt. Das kann ich jetzt aber nicht belegen, ich habe es irgendwo in diesem Buch gelesen und leider funktioniert in Papierbüchern STRG+F zum Suchen ganz schlecht, weshalb ich die Stelle momentan nicht finde. In diesem Artikel ist sogar von 14 Versionen die Rede.
Es gibt auch unter Muslimen immer einmal Vertreter, die sich um Neuinterpretationen oder Neubewertungen bemühen, aber das scheinen wenige Einzelfälle zu sein. Ich habe vor Jahren ein Buch gekauft, was von einem iranischen Muslim stammt und sich mit dem Leben Mohammeds und dem Entstehen des Islam beschäftigt. Es wurde als „schonungslos“ und sehr „kritisch“ angepriesen. Auf mich wirkte es aber furchtbar langweilig, weil der Autor sich zunächst einmal gefühlte 100 Seiten nur dafür entschuldigte, dass er es sich überhaupt wagt, über dieses Thema nachzudenken. Ich habe es dann nicht zu Ende gelesen.
Zum Thema
Zumindest in der Bibel stehen viele Überlieferungen historischer Vorkommnisse. Die muss man ja nicht ändern, solange es keinen Grund gibt. Aber wenn man z.B. Übersetzungsfehler bemerkt oder wenn historische Überlieferungen sich aus anderen glaubwürdigeren Quellen anders darstellen, dann kann man das zumindest mit Anmerkungen versehen. Solche berechtigten Korrekturen bzw. Fußnoten wären aus meiner Sicht keine Fälschung.
Das Letztere ist ja gängige Praxis, wenn es sich um wissenschaftliche Publikationen handelt.
Ansonst :
Aber eine diesbezügliche Anfrage z.B. in einer TV-Gesprächsrunde an einen/eine VertreterIn der Gleichstellungsbeauftragten- und IslamVersteherInnen-Fraktion wie Claudia Roth wäre schon mal aufschlussreich. 😉
Was Mohammed betrifft : Bei C.H.Beck Wissen gibt es eine preiswerte Darstellung von Hartmut Bobzin, 128 Seiten.
Das wichtigste am Wikipedia-Eintrag (http://en.wikipedia.org/wiki/Christian_terrorism) ist die erste Zeile:
The neutrality of this article is disputed
Ziemlich aussagekräftig über die Brauchbarkeit von Wikipedia-Artikeln ist auch immer deren Versionsgeschichte. Wenn da kaum Änderungen stattfinden, kann man davon ausgehen, dass der Artikel korrekt ist*, wenn dagegen ständige Änderungen zu beobachten sind, dann ist er deutlich umstritten. Und bei dem „Christian terrorism“-Artikel sind fast täglich und vor allem sehr viele Änderungen zu sehen.
(* oder zu speziell ist und zu wenige interessiert, was ich hier aber ausschließe)
Es fällt auch auf, dass lt. Wikipedia der Christenterror vorwiegend in Weltgegenden vorkommt, die außerhalb des Radarschirms der westlichen Wahrnehmung liegen. Das ist erst mal kein Gegenbeweis, doch es macht einen stutzig.
Dass die indischen Christen die Hindus terrorisieren ist ungefähr so realistisch wie die SPIEGEL-Headlines der Tonlage Christen und Muslime gehen aufeinander los.
In Indien lassen sich täglich ungefähr 10.000 Menschen taufen. Klingt viel, in der Milliardenpopulation verschwindet das im Rauschen.
Es sind vor allem die Angehörigen der untersten Kaste, die sog. „Unberührbaren“. Die finden das christliche Konzept der unteilbaren Menschenwürde ganz attraktiv.
An ihrer Lebenssituation ändert die Taufe natürlich nichts. Sie bleiben Underdogs, rechtslos und der Willkür der Hindu-Nationalisten de facto schutzlos ausgeliefert. Die Ärmsten zu Terroristen abzustempeln ist einfach nur niederträchtig.
Wikipedia ist leider schon lange zu einer Propagandaplattform verkommen. Dieser Eintrag bestätigt das einmal mehr.
Zu Stefanolix´ obigem Beitrag könnte man noch präzisieren, dass die Evangelien unmittelbar nach der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 n.C. oder in den Jahren danach verfasst wurden (das Johannes-Evangelium dann zuletzt, etwa 95 n.C.). Das heißt, es hatte da gerade einen großen Aufstand gegeben, der von den Römern blutig niedergeschlagen worden war – da konnten die Autoren der Bibel da nicht groß rhetorisch auf die Kacke hauen und irgendwelche Gewaltaufrufe von sich geben. Nachzulesen u.a. bei Elaine Paigels: http://www.amazon.de/Satans-Ursprung-Elaine-Pagels/dp/3827001994
Was den Islam und den Terror betrifft, könnte die Frage auch anders stellen: Warum wird der Terror in dieser Region denn heute vor allem islamisch begründet? Wenn wir uns z.B. Israel/Palästina anschauen, dann verübten die PLO und ähnliche Organisationen schon Terrorakte, 30 Jahre bevor die Hamas damit anfing – nur dass sie diese eben vor allem nationalistisch oder marxistisch-leninistisch begründeten. Die Frage wäre dann eher, warum der Islamismus zwischenzeitlich so eine Bedeutung in dieser Weltgegend erlangt hat.
@ Frank: Da du Torstens obigen Hinweis auf den Mord an Jitzhak Rabin ein wenig schnell abgebügelt hast: Es gab da schon ´nen größeren Kontext (z.B. gab es zuvor Äußerungen von mehreren nationalistischen Rabbinern, die erklärten, Rabin verdiene nach biblischem Recht den Tod, weil er einen Teil des heiligen Landes an die „Ungläubigen“ abgeben wolle). Und Rabin war auch nicht der erste, der ermordet wurde: http://en.wikipedia.org/wiki/Cave_of_the_Patriarchs_massacre
Wobei man sich bei der nationalreligiösen Bewegung in Israel natürlich streiten kann, ob die nun eher religiös oder nationalistisch motiviert ist.
@einer von jenen: Okay, ich habe den Einwurf mit Jitzchak Rabin durchaus etwas schnell „abgebügelt“. Aber das hatte eben den Hintergrund, dass ich an der Stelle wirklich erwartet hatte, dass nun gleich etwas aus dem thematischen Umfeld „Israel“ kommen würde. Ich hatte ja behauptet, dass keine andere Religion als der Islam es ermöglichen würde, Terror mit dem angeblichen Willen Gottes zu begründen. Das mag etwas zu pauschal gewesen sein, aber ich hatte mich beim Schreiben meiner zweiten Antwort auf Torsten
gefragt, ob mir dazu vielleicht selbst Antworten einfallen? Und da ist natürlich das Thema Israel praktisch vorprogrammiert. Klar gibt es auf jüdischer Seite auch Terroristen, wie der Fall Jitzchak Rabin zeigt. Aber hier war ein Jude das Opfer eines Juden, auch wenn man den Mord im Gesamtkontext anti-muslimisch sehen kann. Außerdem ist das ein rein innerisraelisches Problem und zweitens sind das – verglichen mit der Menge islamistisch motivierter Fälle – aus meiner Sicht trotzdem nur die erwähnten Einzelfälle.
Übrigens finde ich, dass auch alles, was mit PLO usw. zu tun hat, in diesen Kontext „Israel“ eingeordnet werden sollte. Dass es bei der PLO marxistische Tendenzen gab, hat wenig zu besagen, denn marxistische Tendenzen waren damals ganz einfach verbreitet. Auf der israelischen Seite gab es die z.B. in den Kibbuzen auch (ich will damit aber nicht behaupten, dass deren Bewohner Terroristen waren). Letztlich dürfte die Ablehnung Israels in der arabischen Welt auch hauptsächlich religiös motiviert sein.
Vielleicht will es einer ansehen, dass sagenhafte Dingsda
http://www.das-zob.de/nsu-bekennervideo-das-zob-dokumentiert-exklusiv-in-voller-laenge/
https://www.youtube.com/watch?v=3bLdBWtCzD4
@ Frank: Natürlich gibt es bei der PLO einen speziellen Kontext. Ich wollte nur sagen, dass diese theologischen Debatten (Was steht im Koran? usw.) vielleicht zu kurz greifen – man könnte ja auch zuerst mal fragen: Warum erscheint denen Terrorismus als sinnvolle Handlungsweise?, und dann erst weiterfragen: Warum wird der Terrorismus heute vor allem religiös begründet?
Es gibt ja erstens auch rein „technische“ Gründe, warum der Terror als Strategie gewählt wird – wenn man z.B. eine reguläre Armee besitzt, kann man auf Terroranschläge auch verzichten, um sich durchzusetzen. Und zweitens bin ich mir bei der IS nicht sicher, ob die durchweg „religiös motiviert“ ist. Es gibt da sicher einen harten Kern überzeugter Islamisten, aber ich schätze, da sind auch viele frühere Anhänger der Baath-Partei dabei, die unter Hussein mehr oder weniger säkulare Nationalisten waren und heute mit IS wieder an die Macht kommen wollen – die begründen ihr Handeln vielleicht religiös, sind aber nicht unbedingt religiös motiviert. (Ich hoffe, der Unterschied ist soweit verständlich.)
Übrigens ist auch der Terror der IS (analog zum Fall Rabin) zum Teil „inner-islamisch“ – die bringen auch Schiiten um.
Hier kritisiert schon wieder jemand Herrn Todenhöfer:
http://tapferimnirgendwo.com/2015/02/21/jurgen-todenhofer-schreit