Was sagt der Earth Over­shoot Day wirklich aus?

Seit heute leben wir wieder weltweit auf Pump, denn laut der Berechnung des Global Footprint Network waren am 1. August alle nachwachsenden natürlichen Ressourcen verbraucht. Zu Beginn der 90er Jahre fand ich das noch dramatisch. Damals war ich gerade vom – an der globalen Zerstörung überwiegend unschuldigen – DDR-Bürger („wir hatten doch nichts“) zum Teil der kapitalistischen westlichen Dekadenz geworden und versuchte daher, mich korrekt mitschuldig an allem Übel in der Welt zu fühlen. So richtig wollte mir das aber schon damals nicht gelingen, ich fühlte mich einfach nicht schuldig. Dass wir Bewohner des „Westens“ einen hohen Ressourcenverbrauch hatten, war natürlich deutlich sichtbar, insofern kann es sein, dass ich seit 1990 auch eine Weile die Behauptung nachplapperte, wir würden mehr als eine Erde pro Jahr verbrauchen.

Doch irgendwann tauchten Zweifel auf: Wenn wir jedes Jahr (und Jahr für Jahr zeitiger) am „earth overshoot day“ alle Ressourcen bereits verbraucht hatten – wieso war dann jeweils am Folgetag noch etwas vorhanden? Denkbar war freilich, dass wir in den reichen Ländern immer nur auf Kosten der armen Länder zu viel verbrauchten und deshalb bei uns nichts bemerkten. Doch es wurde ja stets behauptet, dass weltweit, also im globalen Durchschnitt an diesem Tag alle nachwachsenden Rohstoffe verbraucht wären. Die reicheren Industrieländer hatten ihre „alles verbraucht“-Termine stets schon vorher. Wieso fehlt dann in all den Jahren anschließend nirgends etwas? Und wieso waren im jeweils nächsten Jahr noch Ressourcen vorhanden? Der earth overshoot day wird bereits seit 1961 berechnet und seit 1971 liegen wir dauerhaft im Minus. Das sind jetzt 47 Jahre, also fast ein halbes Jahrhundert! Wieso macht sich diese dauerhafte Überziehung in der Realität zum Jahresende nie durch Mangelerscheinungen bemerkbar? Irgendwo müsste doch nun wirklich einmal irgendeine – ehemals regenerative – Ressource ausgegangen sein.

Dass es auf der Erde Mangelerscheinungen gibt, will ich nicht abstreiten. Aber die haben überwiegend erklärbare andere Ursachen, zum Beispiel Dürren, Kriege, Umweltkatastrophen oder politische Misswirtschaft. Es gibt einzelne Fälle, bei denen z.B. Fischfanggründe eines Landes durch fremde Flotten geplündert wurden. Aber das waren nie Erscheinungen, bei denen unser gesamter Planet geschädigt wurde. Wieso fehlen nach dem earth overshoot day nie Ressourcen?

Es ist ganz interessant, wenn man sich die Daten genauer anschaut. Zuerst wurde gestern wieder diese Grafik verbreitet. Dort liegt Deutschland an sechster Stelle der schlimmsten Umweltsünder:

Country Overshoot Days 2018

Stimmt aber gar nicht. Hier wurden einfach ein paar Staaten weggelassen. Diesem Bild zufolge liegen wir erst auf Platz 14:

Country Overshoot Days 2018

Doch was sagt uns diese Darstellung? Sie zeigt, dass selbst richtig arme Länder ihren earth overshoot day ebenfalls noch vor dem 31. Dezember haben, sie überziehen ihre Ressourcen also genauso und wir sind vielleicht gar nicht an allem schuld. Im vergangenen Jahr landete lediglich Honduras erst auf dem 31. 12., nur dieses Land hatte also damals keine zu hohe Ressourcennutzung. Ich bezweifle, dass die Weltbevölkerung gern den Lebensstandard der Hondurianer übernehmen möchte. Auch der Lebensstandard in Vietnam, dem diesjährigen Sieger, ist möglicherweise nicht jedermanns Sache.

Diese Darstellung zeigt aber auch, dass Luxemburg schon Mitte Februar seinen earth overshoot day hatte und Katar sogar noch etwas eher. Dass es in Katar eine gewisse Verschwendungssucht gibt, ist bekannt. Aber was sollen die Luxemburger tun? In diesem winzigen Land gibt es praktisch keine Ressourcen, dort muss man alles importieren. Logisch, dass sie ihre wenigen Ressourcen rein statistisch zu schnell verbraucht haben. Aber hat das bisher jemanden gestört? Gab es jemals Mangelerscheinungen in den umliegenden Ländern, weil die Luxemburger so viel importieren? Zugegeben, das ist eine unsinnige Frage, weil das Land zu winzig ist. Aber das zeigt eben auch, dass die Angabe eines earth overshoot day bei solchen Ländern ebenfalls unsinnig ist. Selbst bei dem kleinen Land Katar ist diese Angabe zumindest fragwürdig. Dort hat man sicher eine verheerende Klimabilanz und auch dort muss man das meiste importieren, aber fehlt durch diese Importe woanders etwas? Katar exportiert viel Erdgas und Erdöl und kann es sich dadurch leisten, alles andere zu importieren. Entsteht dadurch wirklich woanders auf der Welt ein Mangel?

Global Footprint Network ermöglicht einen Vergleich der einzelnen Länder (auf der verlinkten Seite „Home“ anklicken). In der Grafik „Country Overshoot Days 2018“ sieht man, dass Schweden noch vor uns liegt, die Schweden verursachten ihren earth overshoot day bereits am 4. April, wir Deutschen erst am 2. Mai. Wenn man im Ländervergleich Schweden anklickt, wird aber eine positive Bilanz für Schweden angegeben, während Deutschland etwa mit demselben Betrag im Minus liegt. Ist Schweden also besser als Deutschland? Woran liegt das und was sagt sein früherer earth overshoot day dann aus?

Berechnungsgrundlage sind die Biokapazität des Landes und der ökologische Fußabdruck der Bewohner. Deren Differenz ergibt dann die Plus/Minus-Bilanz des Landes. Die Schweden haben zwar einen schlechteren ökologischen Fußabdruck als wir (logisch, weil sie dort oben im Norden mehr heizen müssen), aber sie haben auch mehr Fläche pro Einwohner, wodurch pro Einwohner fast doppelt soviel Ackerland und mehr als 20 mal so viel Wald wie in Deutschland zur Verfügung steht. Anscheinend hat Schweden deshalb eine bessere Biokapazität und steht insgesamt besser da, der schlechtere ökologische Fußabdruck scheint kein Problem zu sein.

Taucht Schweden deshalb nicht in der Liste der schlimmsten Länder auf? Aber warum ist dann Russland vor Deutschland auf Platz fünf? Russland liegt wie Schweden auch im Plus. Trotzdem wird erklärt, wenn alle so leben würden wie die Russen, dann bräuchten wir 3,3 Erden. Ähnlich ist es mit Australien: „wenn alle so leben würden wie die Australier, dann bräuchten wir 4,1 Erden“. Aber Australien liegt auch im Plus, noch mehr als Schweden. Diese drei Länder haben also genug eigene Ressourcen, leben aber angeblich trotzdem über ihre Verhältnisse. Ja, was denn nun – bestehen in den Ländern Probleme oder nicht?

Und was ist mit Deutschland? Wir liegen im Minus, aber haben unsere nachwachsenden natürlichen Ressourcen bisher nie für uns gereicht? Eigentlich schon. Beispielsweise wird unserer Landwirtschaft gern vorgeworfen, sie würde zu viel exportieren. Wie passt das aber zusammen, wenn man angeblich mehr eigene natürliche Ressourcen verbraucht als man hat, gleichzeitig aber Exportüberschüsse bei den daraus entstandenen Produkten verbuchen kann? Selbstverständlich importieren wir auch Produkte aus nachwachsenden natürlichen Ressourcen, aber ist dadurch wirklich irgendwo in der Welt ein Mangel entstanden, der sich sogar so äußert, dass drei anteilige Planeten Erde für unseren Lebenswandel benötigt würden?

Der Schlüssel für diese Widersprüche liegt im „ökologischen Fußabdruck“. Eigentlich ein ernsthaftes Thema, trotzdem ist es leider eine witzige Sache, seinen eigenen ökologischen Fußabdruck zu berechnen, denn man hat gar keine Chance, heil aus der Sache heraus zu kommen (ich habe es einmal getestet): Selbst wenn man noch so unrealistische ultraökologische Eingaben macht … man benutzt angeblich keinerlei Verkehrsmittel, man heizt nicht, man kauft nur bio, vegan und regional, man kauft so gut wie keine Konsumprodukte und erzeugt keinen Müll … es ist alles egal: Auch mit diesen Angaben wird noch berechnet, dass man eine Zumutung für den Planeten sei, weil wir mehr als eine Erde benötigen würden, wenn alle Menschen diesen verschwenderischen Lebensstil hätten.

In der aktuellen Berechnung des ökologischen Fußabdrucks wird als erstes gefragt, ob man Fleisch isst. Wahrscheinlich soll man sofort erfahren, was das allerschlimmste Verbrechen ist, falls man den Test nicht bis zum Ende mitmacht. Seltsam ist, dass hier auch nach Dingen gefragt wird, die den Verbrauch nichtregenerativer Ressourcen ermitteln (zurück gelegte Kilometer mit Fahrzeugen und Flugzeugen, Heizleistung in der Wohnung, Anzahl der Konsumgüter). Seltsam deshalb, weil der earth overshoot day doch den Verbrauch regenerativer Ressourcen beschreiben soll. Wieso geht dann aber der Verbrauch von Erdöl (Fahren) und Erdgas (Heizen) mit in die Berechnung ein?

Das dürfte nicht passieren, aber bei der Berechnung des ökologischen Fußabdrucks wird noch viel mehr vereinfacht: Es wird alles nur in CO2-Äquivalente umgerechnet:

The Ecological Footprint is derived by tracking how much biologically productive area it takes to absorb a population’s carbon dioxide emissions

Man berechnet also die Fläche von Wäldern, Wiesen usw., die nötig wäre, um das von Menschen (teilweise nur theoretisch) freigesetzte CO2 komplett aufzunehmen. Wenn dieses berechnete Areal größer ausfällt als die Erdoberfläche, verbrauchen wir angeblich mehr als einen Planeten. Das sind aber zwei völlig verschiedene Dinge: Hier wird nur die CO2-Bilanz von Ländern berechnet. Damit könnte man zwar Aussagen über ihr Klimaschutz-Engagement machen, doch mit der Regenerationsfähigkeit ihrer natürlichen Ressourcen wie z.B. Wald- und Ackerflächen oder Fischbeständen hat das nichts zu tun.


Grafiken, Quelle: www.overshootday.org


Andere Artikel zu diesem Thema:

„Durch bessere Technologien ist der durchschnittliche Flächenbedarf pro Mensch eher gesunken“

Peter Heller: „Ökologischer Fußabdruck: Grüne Propaganda auf morschem Fundament

3 Comments

  1. Danke für den Hinweis auf Ihren Artikel! Den hatte ich bei T.E. ganz übersehen. Ich finde vor allem den von Ihnen genannten Fakt, dass der pro einzelnem Erdenbürger genutzte Flächenbedarf durch bessere Technologien eigentlich gesunken ist, ziemlich wichtig bei dem Thema.

  2. Es ist schade, dass so eine eindrucksvollen Zahl auf so einem schwachen Fundament steht. Die Welt braucht genau bei dem Thema Nachhaltigkeit mehr Transparenz um die richtigen Schritte zu gehen.

    Zur Zeit ist der Beitrag eine einziger Fingerzeig: „Die anderen machen es auch nicht besser.“ Das trägt nicht zur Lösung des Problems bei. Ich erwarte auch keinen Vorschlag für ein bessere Analyse. Aber ein eindeutige Positionierung zum Thema Nachhaltigkeit und Weltressourcen ist unbedingt notwendig. So finden nur diejenigen ihre Meinung bestätigt, die eh um keinen Preis von ihr abrücken wollen.

Comments are closed.