Darf Satire alles? Vielleicht ist das die falsche Frage
Nach dem Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ kam es vereinzelt zu Diskussionen, ob die Karikaturisten den Vorfall nicht selbst mit provoziert hätten, weil ihre Werke beleidigend für Muslime waren. In solchen Zusammenhängen fällt schnell das Argument: Das ist aber Satire. Satire darf das. Satire darf alles. Zufälligerweise hat Kurt Tucholsky, von dem dieses Zitat stammt, heute seinen 125. Geburtstag.
Aber stimmt das? Darf Satire wirklich alles? Tucholsky hat seinen berühmten Satz eigentlich mehr im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Problemen, unter anderem mit Militarismus erwähnt. Bei der Kritik solcher Themen darf aus meiner Sicht gern alles oder zumindest sehr viel gestattet sein. Wie soll man gesellschaftliche oder politische Probleme auch durch Überspitzung darstellen können, ohne zwangsläufig geistige Grenzen überschreiten zu müssen? Diskussionswürdig wäre bestenfalls, wie weit die Grenze überschritten werden darf. Aber nur weil ein berühmter deutscher Satiriker einmal gesagt hat, Satire dürfe alles, heißt das nicht, dass man die Gültigkeit dieses Zitates nie in Zweifel ziehen darf. Über zeitgemäßere Definitionen wurde immer wieder einmal nachgedacht, beispielsweise hat der als „Johannes Schlüter“ bekannte Jesko Friedrich 2009 in „Was darf Satire?“ bezweifelt, dass Tucholsky es heute noch so formulieren würde.
Ich denke, die Frage sollte eher lauten:
Ist das vorliegende Werk überhaupt Satire?
Üblicherweise ist es so, dass sich Herausgeber einer Zeitung, einer Fernsehsendung oder Internetseite die Bezeichnung „Satire“ selbst vergeben und dass ihre Fans anschließend der Meinung sind, jeden noch so dummen dort veröffentlichten Witz damit entschuldigen zu dürfen, es sei doch Satire gewesen. So einfach kann das aber nicht funktionieren. Es kann nicht im Sinne Tucholskys sein, einen schlechten Witz mit Verweis auf sein Zitat als gut oder gar unkritisierbar zu erklären. Das Bewertungskriterium sollte deshalb etwa so klingen: Wird in dem Text, in der Karikatur, in dem Video ein vorhandenes gesellschaftliches, politisches oder auch religiöses Problem behandelt oder nicht? Wird hier ein Mensch berechtigt kritisiert, weil seine Tätigkeit für die Gesellschaft relevant ist (oder sein sollte)?
Wenn zum Beispiel auf der bekannten Internetseite „Der Postillion“ geschrieben wird, „Versehentlich mitmarschierender Moslem steckt 52 PEGIDA-Demonstranten mit Islam an“, dann kann man das je nach Standpunkt gut oder schlecht finden – es ist aber Satire, denn ein (zumindest von manchen Leuten) als Problem betrachteter Zustand wird ironisch übertrieben dargestellt. Die Meldung vom vergangenen Montag „Nach internen Querelen: PEGIDA-Demo in Dresden abgesagt“ war insofern bereits keine Satire mehr, sondern „lediglich“ sehr lustig, schon weil sie für beeindruckend viel Verwirrung sorgte. Endgültig keine Satire mehr sind beim Postillion z.B. alle Themen mit „Kleiner Timmy (9)“. Das bedeutet nicht, dass es schlechte Artikel wären, meist sind sie trotzdem gut. Auch, oder gerade wenn sie einmal mehr als Schwarzer Humor ausfallen. Ein guter Witz muss ja nicht immer die Satire-Bedingungen erfüllen.
Umgekehrt kann auch nicht automatisch gleich jeder Witz als Satire eingestuft werden, nur weil Politiker darin vorkommen. Politisch kritisierend muss er deshalb noch lange nicht sein. In der heute-show des ZDF sind leider sehr viele Witze trotz Politiker-Anteil schon lange nur noch platter Holzhammerhumor. Wenn Politik nur als Begleitmaterial für billige Gags dient, ist es keine Satire. Auch bei Witzen zu religiösen Themen ist diese Satire-Frage oft angebracht. Titelbilder der „Titanic“ liefern dazu viele Beispiele. „Halleluja im Vatikan: Die undichte Stelle ist gefunden!“ – der Papst mit Pinkelfleck in der Soutane. War das Satire? Wurde hier ein religiöses Problem, ein Missstand satirisch überhöht dargestellt? Nein, das war einfach nur ein ziemlich blöder Witz. Das Motiv „Spielt Jesus noch eine Rolle?“ mit Jesus als Klopapierrollenhalter fand ich 1995 zwar lustig, aber Satire war das definitiv auch nicht. Es ist verständlich, wenn die Urheber solcher Ideen sie gern umsetzten möchten, aber darf man so etwas tun?
Doch, darf man. Selbstverständlich. Meinungs- und Pressefreiheit ermöglicht es auch, dumme oder schlechte Witze machen zu dürfen. Man kann sie nur nicht pauschal mit „Ist doch Satire!“ entschuldigen, sondern muss wie bei jedem misslungenen Zeitungsartikel mit Gegenreaktionen in Form von Kritik, Abokündigung oder Gerichtsverfahren leben können. Was man als Witzeproduzent darf oder nicht darf, sollten bei Nicht-Satire lediglich bestimmte Punkte des Pressekodexes vorgeben oder notfalls eben das Gericht regeln.
Sehr schön wäre, wenn auch die jungen bärtigen Männer, die immer gleich so gern in die Luft gehen, auf solche Protestmethoden umsteigen könnten. Vielleicht entsprachen nicht alle Titelbilder von „Charlie Hebdo“ dem gehobenen Humor-Geschmack, vielleicht waren auch im Heft gelegentlich schlechte Artikel … deshalb muss man die Herausgeber aber nicht gleich umbringen. Die Katholische Kirche macht es vor, was die Titanic betrifft. Auch die FDP hat nie ein Selbstmordkommando zur heute-show geschickt. Ja, das geht, solche Selbstbeherrschung kann man lernen.
Das hier ist übrigens keine Mohammed-Karikatur. Dafür ist es aber Satire.