Wahlprogramme
Liest die eigentlich jemand? Ich mache es zurzeit. Zumindest teilweise. Hier hat sie jemand alle aufgelistet. Den Piraten hat man ja lange vorgeworfen, dass ihre wenigen Inhalte nicht genügen würden, um ein komplettes Wahlprogramm für alle politischen Bereiche zu füllen. Obwohl ich selbst auch gern an den Piraten herum kritisierte, fand ich speziell diesen Vorwurf doch etwas einseitig. Denn möglicherweise hat in Wahlprogrammen der etablierten Partei CDU auch selten Konkreteres gestanden, aber diese CDU-Texte hat vielleicht nur nie jemand so unter die Lupe genommen haben wie die Gedanken der Piraten.
Muss eine Partei zu allen Punkten eine Meinung haben? Neben den Piraten hat vor allem die AfD mit dem Vorwurf zu kämpfen, nicht zu jedem Bereich ausgearbeitete Meinungen zu haben. Wenn man andere Parteien betrachtet, findet man solche thematischen Lücken auch dort. Z.B. hat Die LINKE nicht viel zur Energiewende zu sagen. Aber muss sie das? Darf man sie, die Piraten und die AfD deshalb nicht wählen? Ich sehe das nicht so. Die Piraten wollen sich hauptsächlich bei Internet- und Datenthemen engagieren, die AfD will den Euro abschaffen – warum eigentlich nicht? Sollen sie mal machen! Aber bei anderen Themen sollen sie sich dann bitte heraushalten. Würde so etwas funktionieren, dass man Parteien nach (vermutetem) Kompetenzbereich nur für bestimmte politische Bereiche wählt? Ein interessanter Gedanke, aber mir kommen sofort auch erste Zweifel.
Die Afd hat jedenfalls praktisch nur das Thema „Euro beenden“. Einen Euro-Ausstieg oder seine Abschaffung halte ich zwar für den falschen Weg, aber die Position der AfD ist immerhin ein sehr konkreter Lösungsvorschlag. Ist er auch realistisch? Egal – angesichts des unkonkreten Herumlavierens unserer größten Partei CDU bei diesem Thema ist allmählich jeder Vorschlag besser als die CDU-Politik. Was schreibt die CDU dazu? Nicht viel, außer dass man auf keinen Fall Rot/Grün wählen sollte, weil die keine Ahnung haben: „Rot-Grün dagegen setzt auf eine Vergemeinschaftung der Schulden und Eurobonds. Dies wäre der Weg in eine europäische Schuldenunion, in der deutsche Steuerzahler nahezu unbegrenzt für die Schulden anderer Länder einstehen müssten.“ Mit der aktuellen Methode kommt der deutsche Steuerzahler zwar auch schon dafür auf und ganz so einfach ist das mit den Euro-Bonds auch wieder nicht, aber nun wissen wir immerhin, was der falsche Lösungs-Ansatz wäre. Doch wie sieht dann der richtige aus? Das bleibt offen. Kein Wunder, dass die Wähler Alternativen woanders suchen könnten.
Wäre die Wahl der Afd eine reine Protestwahl? So etwas halte ich eigentlich grundsätzlich für falsch. Aber angesichts der Geldmengen, die inzwischen in verschiedenen Rettungsschirmen stecken, ohne dass ein Ende abzusehen ist, würde ich der AfD einen Einzug in den Bundestag trotzdem beinahe gönnen, denn das wäre wenigstens ein Signal.
Ich habe in diesem Artikel nicht vor, sämtliche Programme zu kommentieren oder gar zu analysieren – das kann ich nicht und es würde den Rahmen ein wenig sprengen. Ich kann aber empfehlen, sich einige der Texte durchzulesen. Zumindest zu einzelnen Themen, die einem wichtig sind. Ein Beispiel: Man hat ja hauptsächlich bei SPD und CDU längst das Gefühl, dass es zwischen ihnen kaum noch Unterschiede gibt. Die gibt es durchaus: Während die CDU sich für die gestiegene Beschäftigung lobt, ohne zu erwähnen, was für eine negative Rolle die Kurzarbeit dabei spielt, will die SPD genau diese wieder einschränken. Ja, sie hat sie selbst erst in diesem Umfang ermöglicht, aber immerhin will sie ihren Fehler nun endlich korrigieren. Bei CDU taucht das Wort Kurzarbeit dagegen gleich gar nicht erst auf.
Etwas anstrengend sind einige Wahlprogramme durch ihre Länge. Einzelne Parteien haben ihre Texte zwar auch kürzer oder „in einfacher Sprache“ veröffentlicht, aber das bleibt dann oft zu unkonkret. Wenn ich konkrete Aussagen erwarte, ist es zwar logisch, dass sich dadurch eine gewisse Mindesttextmenge ergibt, aber es wäre schön gewesen, wenn sich die betreffenden Parteien trotzdem etwas kürzer gefasst hätten. In den pdf-Versionen schafft es von unseren etablierten Parteien nur DIE LINKE, unter 100 Seiten zu bleiben.
Dass es auch anders geht, zeigen die „Freien Wähler“ auf weniger als 50 Seiten. Ihr Programm ist ein positives Beispiel für ein halbwegs kurz gehaltenes und trotzdem aussagekräftiges Wahlprogramm. Es beginnt zwar zunächst mit allgemeinen Phrasen, die auch von der CDU stammen könnten, aber dann wird es ziemlich konkret. Auch wenn einige Punkte nach Diskussionsbedarf klingen (z.B. Einführung einer Parallelwährung für Euro-Krisenländer).
Wirklich alle Wahlprogramme zu lesen, hat sicher nur für die Wenigsten Sinn – für mich gibt es schon einmal mehrere Parteien, bei denen sich ein Auseinandersetzen mit ihren Programmen erübrigt, weil weil ich sie sie grundsätzlich nicht wählen würde oder weil man sie nicht ernst nehmen kann. Ein Fall, wo das von vornherein klar ist: „Die Partei“. Das war ja zu Beginn mal ganz lustig, Herr Sonneborn, aber man muss einen Gag nicht über so viele Jahre auswalzen. Nicht ernst nehmen kann man auch die sonderbare „Partei der Nichtwähler“: Ihr „Wahlprogramm“ ist derartig allgemein und aussagelos, dass selbst die frühesten Textfragmente der „Piraten“ dagegen wie ausgetüftelte Manifeste wirken. Immerhin ein schönes Beispiel dafür, dass man Wahlprogramme auf einem Bierdeckel unterbringen könnte. (Nebenbei: Woher will der Parteigründer, Herr Peters, eigentlich wissen, dass Leute deshalb nicht wählen gehen, weil sie statt der bisherigen Parteiinhalte solche Plattitüden wollen?)
Ich muss mich auch nicht mit den vier rechten Parteien befassen. Wobei es vielleicht interessant sein könnte, wodurch sie sich eigentlich unterscheiden. „DIE RECHTE“ macht z.B. einen auf kulturell – sie will die „tausendjährige deutsche Kultur“ gegen Anglisierung verteidigen (sie fordert ein Werbeverbot in ausländischen Sprachen) und sie fordert eine „Akademie zum Schutz der deutschen Sprache“. Ja, macht das mal – da seid Ihr mit etwas Harmlosen beschäftigt! Gut, dass sie, „pro Deutschland“, die NPD und die Republikaner nicht auf die Idee kommen, sich zu vereinigen – politische Zersplitterung schwächt. Machen die Linken ja genauso.
Aus geografischen Gründen uninteressant sind für mich ÖDP und die Bayernpartei. Ich kann auch nichts anfangen mit der feministischen Partei DIE FRAUEN. Ich bin für Gleichberechtigung (die ja auch von anderen Parteien längst vertreten wird), habe aber etwas gegen Organisationen die über das Ziel hinausschießen und im anderen Extrem landen wollen. Halbwegs interessant ist deren Text aber durchaus: Weil man sich aller paar Abschnitte fragt, was sie damit eigentlich aussagen wollten?
Etwas seltsam sind auch Parteien, deren Positionen eigentlich bereits von anderen vertreten werden, z.B. BIG – das „Bündnis für Innovation & Gerechtigkeit“. Das Programm ist sehr allgemein gehalten und entspricht weitestgehend Inhalten der Grünen oder der SPD. Warum die sich nicht einfach denen anschließen, bleibt völlig unklar. Erst Wikipedia verrät: BIG ist eine der ersten von Muslimen gegründete Parteien Deutschlands und beabsichtigt sich insbesondere für die Rechte von Migranten und ihre gesellschaftliche Integration in Deutschland einzusetzen. Aber das wollen u.a. die Grünen auch. Warum sollte man die dann nicht gleich wählen? Es ist zwar eine gute Sache, sich politisch zu engagieren, aber angesichts der Ähnlichkeit zu den Grünen ist diese Zersplitterung ziemlich sinnlos. Ähnliche Gedanken stellen sich auch bei der „Tierschutzpartei“ ein.
Aber ich wollte ja nicht alle Parteien kommentieren. Nur eine noch: Von den „VIOLETTEN“ bin ich enttäuscht, denn ich hatte von ihrer spirituellen Politik etwas mehr Spaß beim Lesen erwartet. Immerhin haben sie gegenüber den Piraten das schlüssigere Konzept, wie man das Bedingungslose Grundeinkommen umsetzen könnte: Renten- und Arbeitslosenversicherung und sämtliche Sozialleistungen werden abgeschafft, es muss auch niemand mehr irgendwelche Zahlungen für solche Leistungen entrichten. Woher kommt das Geld? Hauptsächlich durch Abbau der Sozialversicherungssysteme, denn damit „erfolgen Einsparungen von Personal-, Immobilien-, Instandhaltungs- und sonstigen Sachkosten.“ Das meinen die ernst. Das ist offensichtlich eine nie versiegende, sprudelnde Geldquelle. Ich habe das Gefühl, dass ein geringfügiger Denkfehler in diesem finanziellen Perpetuum Mobile steckt.
Meinst Du im Artikel wirklich »Kurzarbeit« oder nicht eher »geringfügige Beschäftigungsverhältnisse« oder »Teilzeitbeschäftigung«? – Kurzarbeit ist eigentlich eine Maßnahme, hinter der sowohl die Volksparteien CDU und SPD als auch die Tarifparteien stehen und die im Wahlkampf bisher nicht zur Debatte steht.
Nein, ich meine durchaus die Kurzarbeit. Die SPD steht zwar insofern dahinter, da sie sie ja im Rahmen ihrer Agenda 2010 selbst erst so massiv ermöglicht hat, aber immerhin sagen sie nun, dass das wieder korrigiert und auf ein vertretbares Maß zurückgefahren werden soll. Und das ist ja auch richtig. Sehe ich zumindest so. Man kann sich zwar fragen, wie naiv die Genossen der SPD damals gewesen sein müssen, um den Prozess nicht voraus zu sehen, aber naja. Möglicherweise ist das der Grund, warum die SPD das Thema wahlkampfmäßig heute nicht so in den Vordergrund stellt.
Vielleicht liegt das daran, dass Kurzarbeit in Fällen von Absatzkrisen infolge Höherer Gewalt eine positive Rolle bei der Überbrückung gespielt hat? Ich finde, wenn man das Instrument klug einsetzt und die Rahmenbedingungen stimmen, kann man damit Betrieben über (unverschuldete) Krisen hinweghelfen.
Dass in solchen Fällen Kurzarbeit sinnvoll sein, bestreitet sicher auch kaum jemand. Aber in manchen Bereichen scheint es ja recht schamlos ausgenutzt zu werden.