Meldegesetz: Bitte noch mehr Paranoia!
Wenn der Bundesrat heute tatsächlich die jüngste Änderung des Meldegesetzes empfiehlt, wäre das eine absolute Katastrophe! Denn dann müssten wir Internetnutzer plötzlich bisher völlig unbekannte Dinge tun: Wir müssten überall erst sogenannte „Nutzungsbedingungen“ lesen, bevor wir wie gewohnt unsere Adressdaten überall in Online-Formulare eingeben. Und wir müssten sogar über mögliche Haken nachdenken, die solche Eingaben zur Folge haben könnten. Wie soll man als normaler Internetnutzer da noch zurechtkommen? Bisher sieht die allgemeine Herangehensweise bekanntlich so aus, dass man von allen Leuten hört: „Im Internet sollte man immer überall seine Daten angeben. Zumindest, wenn da etwas von ‚Schnäppchen‘, ‚billig‘ oder ‚Gewinnspiel‘ steht, oder wenn Pop-Up-Fenster aufgehen. Auf keinen Fall sollte man auf solchen Seiten erst noch irgendwelche endlosen Textpassagen mit kleiner Schriftgröße durchlesen. Das schadet nur den Augen.“
Versuche ich hier krampfhaft, ironisch zu sein? Nein, denn genau darauf läuft die Kritik an der aktuellen Version des “Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens” (MeldFortG) hinaus. Die vorherige Version sah vor, dass eine Weitergabe von Meldedaten (auch ohne Einwilligung des betreffenden Bürgers) zu kommerziellen Zwecken dann möglich sein soll, wenn das anfragende Unternehmen die Daten des Bürgers bereits hat und sie lediglich bestätigen oder berichtigen will. Die jüngste Änderung sieht nun vor, dass dies nur noch möglich sein soll, wenn die entsprechenden Unternehmen sich vom Bürger die Einwilligung dafür selbst holen: „Auf Verlangen sind der Meldebehörde entsprechende Nachweise vorzulegen“.
Was soll daran aber so schlimm sein? Mir persönlich wäre es freilich am liebsten, wenn gar keine Daten an Firmen herausgegeben würden, aber wenn jemand dies ohnehin schon freiwillig getan hat – wo ist das Problem? Und wenn nun der Arbeitsaufwand, die Einwilligung des Bürgers einzuholen, von den Meldeämtern auf die Firmen verlagert wird, dann hat das zwei Vorteile: Erstens eine Entlastung der Behörden, zweitens zusätzlich zur Bearbeitungsgebühr noch eine weitere abschreckende Maßnahme für die Firmen, denn es bedeutet weiteren Aufwand.
Kritiker bemängeln das u.a. aus folgendem Grund: „Unternehmen würden solche Einwilligungen oft in den Nutzungsbedingungen ihrer Websites oder in Onlinegewinnspielen verstecken.“ (Quelle)
Okay, das mag sein. Aber sollte man nicht grundsätzlich solche Nutzungsbedingungen lesen, bevor man seine Daten irgendwo eingibt? Ich dachte, diese Erkenntnis hätte sich nun allmählich einmal durchgesetzt, wie auch die, dass man seine Daten überhaupt nur dort angibt, wo es absolut unumgänglich ist.
Die oben genannte Kritik klingt so, als wären Internetnutzer leider allesamt unbedarfte Wesen, die das mit dem Kleingedruckten sowieso nie kapieren werden und die man deshalb besser schützend an die Hand nehmen muss. Nein, das wäre der falsche Weg! Die Grundlagen „Gib deine Daten nicht überall an“ und „ließ Dir durch, was Du unterschreibst bzw. anklickst“ muss jeder kennen und beherzigen. Im Internet und außerhalb davon.
Dass man grundsätzlich gegen Anbieter unseriöser Dienste vorgehen sollte, die zu versteckte oder schwer verständliche Klauseln in ihren Verträgen haben, ist ein ganz anderes Thema. Das beseitigt man nicht, indem man die aktuelle Version des Meldegesetzes kritisiert.
Der zweite Punkt, den Kritiker vorbringen ist übrigens, dass die Meldeämter gar nicht prüfen könnten, ob die von den Firmen vorgelegten Einverständnisse echt wären. Das stimmt. Allerdings kann ich mir umgekehrt auch nicht vorstellen, dass die betreffenden Unternehmen eine solche Verfahrensweise bei der absehbar entstehende Klagewelle von Bürgern überhaupt riskieren würden.
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Und abschließend noch einmal zum Thema des angeblichen Adresshandels durch Meldeämter:
- Die Meldeämter verkaufen keine Daten (das eingenommene Geld sind lediglich Bearbeitungsgebühren, die immerhin bereits eine abschreckende Wirkung gegenüber einer kostenlosen Herausgabe haben)
- Die Kommunen nehmen damit zwar Geld ein, aber das ist auf den jeweiligen Haushalt bezogen nur wenig. Außerdem muss man andererseits auch das Geld für die entsprechende Arbeitszeit der Beamten mit in die Rechnung einbeziehen.
- Adresshändler usw. kaufen schon seit Jahren keine Daten mehr von Meldeämtern, da sie durch freiwillige Adressangaben von Bürgern über Gewinnspiele, Rabattsysteme u.ä. viel bessere Quellen haben.
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Quellen und Dokumente:
ZEIT online: „Meldegesetz soll verschlimmbessert werden“
ZEIT online, 21.09.12: „Bundesrat will Meldegesetz nachbessern“
Entwurf MeldFortG, 16.11.2011
Entwurf MeldFortG, 27.06.2012 (die kürzlich kritisierte Version „57-Sekunden-Gesetz“)
Empfehlung MeldFortG, 10.09.2012
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Hmm, ich kann dir sagen, was mir die letzten Tage durch den Kopf ging, als ich einen Artikel über das Meldegesetz geschrieben habe, dem einen fast genauso langer Nachtragsteil folgte ‚Mann, Winkler, so viel Lärm um (fast) nichts … kann man Zeit nicht sinnvoller nutzen?‘
Andererseits akzeptiere ich ja auch, dass der Weg der Erkenntnis mitunter verworren, paradox und laaang sein kann 🙂
Ooops …. „dem einen fast genauso“ -> „dem ein fast genauso“
Die Frage könnte man auch ganz allgemein auf die Bloggerei anwenden 😉
Ich hatte schon überlegt, ob ich noch mit auf Deine Idee der finanziellen Beteiligung verweise, aber das hätte ein wenig vom Thema weg geführt.
Hallo Frank!
Zunächst vielen Dank für den/die Artikel zum Meldegesetz.
Ich habe am vergangenen Donnerstag, anlässlich des sogenannten #OptOutDay, an der Straßenbahnhaltestelle Postplatz mit vielen Menschen gesprochen und sie auf die Möglichkeit des Widerspruchs gegen die Weitergabe ihrer Meldedaten hingewiesen.
Und zwar (fast) ohne Paranoia, sondern mit dem Hinweis, dass mensch selbst AKTIV für sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung sein/werden muss.
Von daher stimme ich Dir in vielen Aspekten zu, finde Deinen Artikel aber insgesamt etwas zu verharmlosend.
Politik hat meines Erachtens auch immer etwas mit Polarisierung (Polemisierung) zu tun.. und das ist auch gut so. 😉
Gruß Fidel
P.S. Ich habe die Seite http://staddrat.de aktualisiert (Streaming-Link usw.) und freue mich über Mitmacher und/oder Kommentare. 🙂
Mein Text (bzw. die drei) ist durchaus etwas verharmlosend, aber das hat seinen Grund in der allgemein übertriebenen Berichterstattung, die das Thema völlig übertrieben oder sogar falsch darstellt. Ich habe das im Artikel nicht erst noch erwähnt, aber mir ging es in den letzten Tagen wieder auf den Keks, dass (angeblich seriöse) Medien (z.B. ZDF) in ihren Nachrichten ständig behaupten, das „57-Sekunden-Gesetz“ würde einen massiven Verkauf unserer Daten ermöglichen. Das ist aber falsch. Es kann doch nicht wahr sein, dass gutbezahlte Journalisten nicht einmal in der Lage sind, die kritisierte Gesetzespassage wenigstens auch einmal zu lesen. Dort steht eher das Gegenteil drin.
Diese Übertreibung ist für mich Paranoia – nicht Eure Aktion. Sowas ist ja eher recht sinnvoll.
Hmm, die Bloggerei ist ja ne Art Online-Tagebuch – auszugsweise.
Insofern ist auch das letztlich scheinbar weniger Sinnvolle mitunter noch recht sinnvoll, weil es um den viel zitierten Weg geht, nicht um das Ziel …. das das Ziel verändert sich mitunter bzw. haben Menschen meist unterschiedliche Ziele.
Zu meinem Artikel … falls du noch drüber nachdenkst, dann warte noch etwas, Frank 😉
Ein weiterer Artikel zum Thema „PayOut“ ist in Arbeit. Ich war am Mittwoch ja bei den Piraten und hatte dort ein, zwei Gespräche zum Thema, wobei ich meine Idee innerlich noch etwas fundieren und ausbauen konnte.
@ Fidel
Ja, Politik hat etwas Polarisierendes .. das hast du gut erkannt.
Und genau deshalb bin ich kein Mitglied irgendeiner politischen Partei, weil es nicht nur um die Pole geht, sondern um die diversen Möglichkeiten dazwischen.
Im Übrigen, Greg, warum bist du eigentlich nicht froh, dass ich kein Mitglied der Piratenpartei bin?
Stell dir mal vor, ich würde jede Woche zwei-, dreimal im „real life“ oder im Netz mit „Winkler’s tollen Vorschlägen“ auftauchen 🙂
Ich glaube, dass wöllten wir beide nicht, oder? 😉