Westerwelle in der Kritik – wie weit muss Bündnistreue gehen?
Die aktuelle Kritik an Guido Westerwelle hat einen sehr seltsamen Beigeschmack. Recht gut auf den Punkt brachten das heute z.B. der ARD-Kommentar „Die feige Heuchelei der Westerwelle-Kritiker“ und auch die Süddeutsche mit „Gebuh und Gelächter für den großen Staatsschauspieler“
Aber was hat Westerwelle eigentlich verbrochen? Worin besteht sein Versagen, was einigen zufolge ein Desaster für die deutsche Außenpolitik ist? Das verblüffende ist: Er hat einmal etwas richtig gemacht. Deutsche Kriegsbeteiligung verhindert. Und das war nun – so seine Kritiker – im Nachhinein exakt das Falsche! Seinem Vorgänger J. Fischer zufolge war es sogar das „vielleicht größte Debakel seit Gründung der Bundesrepublik“.
Und kürzlich hat Westerwelle sogar noch behauptet, die deutsche Sanktionspolitik sei im Kampf gegen Gaddafi erfolgreicher gewesen als die der militärisch operierenden Bündnispartner. Und dafür entschuldigte er sich bei diesen erst, nachdem es ihm alle sehr nahegelegt hatten! Unglaublich!
Aber hat er das tatsächlich gesagt? Westerwelle wurde in einem Interview im Deutschlandfunk am 23.08.2011 gefragt:
Kapern: Herr Westerwelle, David Cameron, der britische Premier, hat gestern gesagt, sein Land könne stolz darauf sein, zum Sturz Gaddafis beigetragen zu haben. Würden Sie das auch gern sagen können?
Westerwelle: Wir haben ja mit unseren Instrumenten, nämlich auf politischem Weg, unseren Beitrag dazu geleistet, dass sich in Libyen mehr und mehr der Weg in Richtung Demokratie ebnet. Wir haben uns mit eigenen Kampftruppen als Deutsche nicht an dem Krieg in Libyen beteiligt, diese Entscheidung war auch richtig, sondern wir haben auf die internationale Isolierung gesetzt, auf vor allen Dingen die politischen und wirtschaftlichen Sanktionen, und diese Sanktionspolitik war augenscheinlich erfolgreich, denn sie hat das Regime Gaddafi nicht nur isoliert, sondern ihm auch die Nachschubmöglichkeiten abgeschnitten.
Kapern: Woraus schließen Sie, Herr Minister, dass die Sanktionspolitik das entscheidende Moment beim Sturz Gaddafis war und nicht der Militäreinsatz?
Das entscheidende Moment? Das hatte Westerwelle gar nicht behauptet (und wie man selbst nachlesen kann, sagte er das auch im weiteren Text nicht). Er sagt nur, dass die Sanktionen in irgendeiner Weise erfolgreich waren und auch ihren Beitrag leisteten. Das kann man freilich bezweifeln, zumal es sicher schwer nachmessbar sein dürfte. Wie sollte eine nichtmilitärische Sanktionspolitik übrigens auch erfolgreicher sein können, wenn man den Erfolg an militärischen Eroberungen misst? Ob die deutschen Sanktionen Sinn hatten oder nicht, wurde ja ohnehin bezweifelt, andererseits fanden sie auch Befürworter in Deutschland. Trotzdem stand nun genau dieser Vorwurf im Raum: Westerwelle hält eigene Maßnahmen für entscheidender, als die der NATO-Partner! Und dafür sollte er sich nun bei der NATO gefälligst entschuldigen. Aber warum? Es war doch ein Irrtum! Die Partei“freunde“ scheinen ihn ziemlich agitiert zu haben, doch er blieb bei seiner Haltung. (Ich hätte nie gedacht, dass Westerwelle mir eines Tages noch ansatzweise sympathisch wird). Jedenfalls warf sich Philipp Rösler am 26. August 2011 in die Bresche und sagte in der „Passauer Neuen Presse“: „Unser tiefer Respekt und unsere Dankbarkeit gelten auch unseren Verbündeten, die Gaddafis Mordeinheiten entscheidend in den Arm gefallen sind.“ FDP-Generalsekretär Christian Lindner am einen Tag später in der „Frankfurter Rundschau„: „ich empfinde auch Respekt vor unseren Verbündeten, die Gaddafis Kriegsmaschinerie zerschlagen haben.“ Ob die NATO nun diese Zeitungen liest, sei mal dahingestellt. Inzwischen ist Westerwelle jedenfalls doch eingeknickt und hat die großen Leistungen der NATO ausdrücklich gewürdigt.
Im Nachhinein gilt es nun auch als falsch, dass er sich im März überhaupt seiner Stimme enthalten hatte, als die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates verabschiedet wurde. Es gab 10 Befürworter und 4 weitere Enthaltungen. Schon bald danach musste sich Westerwelle seltsame Fragen anhören, so zum Beispiel in einem Interview des SPIEGEL Ende März 2011: „Deutschland hat sich im Sicherheitsrat als einziges westliches Land der Stimme enthalten, genauso wie demokratisch eher weniger gefestigte Länder wie Russland und China. Ist das die Gesellschaft, in der wir uns wohl fühlen sollten?“ Was ist das für eine Frage? Soll man eine durchdachte Meinung, zu der man auch steht, nicht vertreten, nur weil sie ein nicht ganz so befreundeter Anderer auch vertreten könnte? Wenn man China und Russland als zweifelhafte Partner betrachtet, dann hätte man sie eben nicht als Mitglied im UN-Sicherheitsrat aufnehmen dürfen!
Nebenbei: Wäre J. Fischer noch Außenminister, dann wäre das alles nicht passiert. Der war in seiner Amtszeit immer gern dabei, wenn es darum ging, Kriege zu ermöglichen. Zumindest in Afghanistan und Serbien, danach durfte er ja nicht mehr mitspielen. Bei Libyen hätte er sicher wieder bedenkenlos mit „Ja“ gestimmt.
Als Vorwurf wird Westerwelle nun auch gemacht, er hätte Deutschland damit von NATO-Partnern abgegrenzt. Ist das so? Wenn eigene Positionen nicht erlaubt wären, bräuchte man gar keine Abstimmungen erst durchzuführen. In einem Bündnis gleichberechtigter Partner müssen auch unterschiedliche Meinungen gestattet sein, sonst sind das keine demokratischen Strukturen! Unter befreundeten Partnern muss es auch möglich sein, nicht bei jeder Aktion mitmachen zu müssen. Westerwelle hat in dem Deutschlandfunk-Interview gesagt: „Deutschland muss nicht an jedem Krieg teilnehmen, um im Bündnis akzeptiert zu sein.“ Wer von uns würde einen solchen Satz nicht sofort unterschreiben?
Nebenbei bemerkt: Interessant ist auch, dass Westerwelle hier ganz offen von „Krieg“ redet!
In dem bereits erwähnten SPIEGEL-Interview gibt Westerwelle als Antwort auf die Frage, warum sich Deutschland nicht zumindest mit Awacs-Aufklärungsflügen beim Kampf gegen Muammar al-Gaddafi teilnimmt: „Wir werden uns mit deutschen Soldaten am militärischen Eingreifen in Libyen nicht beteiligen. Ich wiederhole: Wir haben das sehr gründlich erwogen und eine grundsätzliche Entscheidung getroffen.“
Und das finde ich richtig. Ganz nebenbei: Er sagt, „wir haben das erwogen“. Anscheinend hat er das doch nicht so im Alleingang entschieden, was man ihm ja aktuell unterstellt.
SPIEGEL: Es geht erst mal nur um eine Flugverbotszone. Niemand will doch Bodentruppen nach Libyen schicken.
Westerwelle: Die Resolution hat Luftschläge autorisiert. Und eine No-Fly-Zone ist kein verkehrsrechtliches Regelwerk, sondern ein militärischer Eingriff, zum Beispiel durch die Zerstörung von Luftabwehrstellungen. Ich sehe mich in einer Tradition der Zurückhaltung, was militärische Einsätze angeht.
Dass es nicht bei einer Flugverbotszone blieb, sondern dass die NATO den Rebellen den Weg nach Tripolis frei bombte, ist ja inzwischen bekannt. Das hat Westerwelle sicher nicht vorausgesehen, aber er hat uns da wenigstens herausgehalten.
Doch hat er tatsächlich aus solchen ethischen Gründen so entschieden? In Diskussionen tauchten Behauptungen auf, er hätte in einem Interview eingestanden, „dass man sich enthalten habe, um sich mit dem neuen Kraftzentrum China gut zu stellen, und eben nicht weil man an den Zielen oder dem Vorgehen der Rebellen irgendwelche Zweifel hatte.“ Allerdings gibt es keine solche Quelle, wo er das ausdrücklich so erklärt hat, lediglich einen Artikel, in dem die Formulierung vom „Kraftzentrum China“ zwar auftaucht, allerdings dann vom Autor nur auf auf seine Stimmenthaltung angewendet wurde. Übrigens deutete das Handelsblatt unter der Überschrift „Westerwelle muss China viel erklären“ diese Stimmenthaltung auch gar nicht so China-konform. (Allerdings ist die Logik dieses Textes wiederum nur schwer nachvollziehbar)
Oder liegt es doch – wie andere vermuten – an reinem Populismus? Das deutsche Volk steht ja nicht so auf Kampfeinsätze. „Deutschland befindet sich in einem Superwahljahr. In Baden-Württemberg steht die Zukunft von Schwarz-gelb auf der Kippe. Ausgerechnet jetzt ist Westerwelle offenbar nicht gewillt, in Libyen operative Lücken zu schließen. Es ist eine zutiefst populistische Haltung, für die er sogar in Kauf nimmt, sich im Bundestag von der Linken als Held feiern zu lassen“ (Sueddeutsche, 18.03.2011)
Wenn Auslandseinsätze unserer Soldaten aus populistischen Gründen entfallen, komme ich bestens damit klar. Gerhard Schröder schaffte seine Wiederwahl 2002 auch nur, weil er erklärte, dass er gegen eine Beteiligung am drohenden Irak-Krieg sei. Sehr populistisch, aber wenn das Ergebnis stimmt, soll es mir recht sein!
Zum Abschluss noch eine Kleinigkeit zum Thema, wie korrekt alles in Libyen ablief: „Unterdessen gab die Nato zu, dass sie die Rebellen mit Geheimdienstinformationen auf der Jagd nach Gaddafi unterstützt. Der britische Verteidigungsminister Liam Fox bestätigte dies im Sender Sky News. Zuvor hatte die britische Zeitung Daily Telegraph gemeldet, britische SAS-Spezialeinheiten seien bereits vor Wochen nach Libyen geschickt worden, um den Kampf um Tripolis zu koordinieren. Zur Tarnung hätten sie Zivilkleidung und Waffen wie die Aufständischen getragen. Ihr wichtigstes Ziel sei es, Gaddafi zu finden.“ (Sueddeutsche, 26.08.201)