Ausnahmezustand
19. Februar in Dresden und ein erneuter Aufmarsch von Neonazis. Sollte man zur Gegendemo hingehen oder nicht? Sich hinstellen neben eigenartigste linke Splittergrüppchen, die wieder Deutschlandweit zusammengekarrt wurden? Den Nazis durch diese Aufmerksamkeit nach dem Prinzip „Viel Feind, viel Ehr‘“ indirekt noch Erfolgsgefühle vermitteln?
Aber andererseits kann es auch nicht sein, dass man gemütlich zu Hause sitzen bleibt, während solche Leute hier marschieren und ihre geschichtsverdrehenden Losungen verbreiten … Also gut, beschloss ich gestern nach tagelangem Nachdenken: Du gehst mit hin!
Aber wohin genau? Nach den Änderungen der letzten Tage, wer wann wo was machen darf oder auch nicht, war heute früh ziemlich unklar, wo man als Gegendemonstrant überhaupt sinnvollerweise hingehen sollte. Auf Dresden-nazifrei wurden zwei vermutete Treffpunkte der Rechten angegeben (Postplatz und vor dem Rathaus), was sich dann aber als falsch herausstellte. Stattdessen zogen früh viele Leute zur Marienbrücke, um dort eine Blockade zu errichten. Auf Dresden-nazifrei wurde gestern bereits verkündet, dass man notfalls die Autobahn blockieren wollte, um die Anreise von Rechten zu verhindern, was ich als völligen Wahnsinn einstufte. Gefährlich für sich selbst und für Autofahrer. Außerdem dürfte das bei letzteren eher auf Ablehnung stoßen und man muss sich die Sympathien der restlichen Bevölkerung ja nicht mit aller Macht verscherzen. Laut Twittermeldungen hatten das aber anscheinend tatsächlich einige Leute vor, was offensichtlich von der Polizei verhindert wurde.
Die Informationslage bedeutete jedenfalls absehbar: Viele Leute würden heute an irgendwelche Stellen der Stadt fahren. Nach einer Weile würden sie jeweils feststellen, dass sie dort falsch sind und versuchen, sich zu anderen Stellen zu begeben. Und die Polizei müsste also immer hinterher, wenn sich irgendwo neue Problempunkte ergeben und neue Sperren errichten. So kann man eine Stadt auch lahmlegen! Angesichts der bereits vorhandenen vielen Polizeisperren, der Umleitungen und des stark eingeschränkten Straßenbahnverkehrs war dies auch wirklich gut gelungen! Man kann es nicht anders sagen: Die Stadt hat absolut versagt! Was wäre das Problem gewesen, (wenn man den Aufmarsch schon nicht verbieten konnte) zu sagen: Die Rechten treffen sich an folgenden Punkten und wollen jene Strecke entlang gehen. Blockaden sind ungesetzlich, aber wir rufen alle Dresdner auf, entlang der Route friedlich zu zeigen, wie wenig willkommen Neonazis in unserer Stadt sind! Statt dessen ein absehbares Chaos durch diese Geheimhaltung …
Es häuften sich Aufrufe, zum Hauptbahnhof zu kommen. Der gute alte Hauptbahnhof mal wieder! Der bewährte Ausgangspunkt für Dresdner Demos. Ich bekleidete ich mich passend mit 2 Lagen Funktionsunterwäsche, steckte ein paar Corny-Riegel ein und fuhr mit dem Rad dorthin. Vor Ort befanden sich schon viele Leute, darunter Gruppen und Einzelpersonen mit tollen Fahnen. Immer wieder interessant, was das linke Spektrum zersplitterungsmäßig so her gibt. Ich sah sogar eine Israel-Fahne, also war auch eine Gruppe Antideutscher anwesend. Allerdings nur ca. 5 Leute. Umringt von anderen, die mit ihnen in Diskussionen lagen, was freilich reichlich ergebnislos blieb. Aber das ist ein anderes Thema (auf Coloradio läuft soeben ein passendes Lied mit „verdammte Deutsche“ und „verdammte Sauerkrautfresse“). Mindestens zwei Drittel der Anwesenden wirkten übrigens ziemlich „normal“.
Ja, aber was soll das für einen Sinn haben, hier herumzustehen, wenn die Nazis ganz woanders sind? Irgendwie sah man den Anderen ähnliche Ratlosigkeit an: Bin ich hier richtig? Was passiert hier? Der Durchgang auf die andere Seite des Bahnhofs war wie letztes Wochenende abgesperrt. Kamen dort die Rechten entlang? Keiner schien so richtig etwas zu wissen. Eine Frau kündigte per Megaphon an, dass Konstantin Wecker bald käme. Ja, toll – nichts gegen Herrn Wecker, aber eine Rede darüber, wie falsch Faschismus ist, kann ich mir auch selbst halten. Plötzlich kam Bewegung auf: Eine große Gruppe von Polizisten zog vom Hbf weg, ostwärts die Wiener Straße entlang. Ganz klar für die anwesende Antifa: Dort schien als etwas los zu sein! Nichts wie hin! Da sich inzwischen ohnehin eine große Menge von Leuten in die Richtung aufgemacht hatte, holte auch ich mein Rad und fuhr hinterher. Alle Unterführungen unter den Gleisen waren von der Polizei gesperrt. An der ebenfalls gesperrten Unterführung Franklinstraße sammelte sich alles. Die Stimmung war hier komplett anders – die normalen Menschen waren klar in der Minderheit und hielten sich mehr im Hintergrund. Was hier herumstand, hätte man vielleicht als „Schwarzen Block“ einstufen können. Dann doch lieber ein paar Antideutsche! Die von vorhin fand ich nun im Vergleich regelrecht vertrauenerweckend. Erste brennende Mülltonnen waren im Umfeld zu sehen. Wieder kam Bewegung auf. Schwarzgekleidete stürzten zu einem Fleck, wo es zu Rangelei kam: „Ein Zivilfahnder!“, wurde gerufen. Ich überlegte, ob ich meinen Fotoapparat besser in der Tasche lassen sollte? Die anwesenden Polizisten (für Antifa-Leute: Die Bullen) taten mir echt leid, denn die Stimmung war eindeutig primär gegen sie gerichtet und weniger gegen Nazis. Inzwischen ist bekannt geworden, dass Wasserwerfer eingesetzt wurden (bei der heutigen Kälte natürlich eine üble Sache), aber da ich diese klar auf Randale ausgerichteten Typen gesehen habe, bin ich etwas vorsichtig mit pauschalen Verurteilungen der Polizei. Ich könnte mir vorstellen, dass die Beamten sowieso lieber zu Hause geblieben wären, statt hier in der Kälte herumzustehen.
So stelle ich mir eine Demo gegen Rechts jedenfalls nicht vor. Da ich nicht wusste, wo man sinnvollerweise hätte hingehen können, bin ich dann wieder heimgefahren. Wie ich später erfuhr, hatte am Hbf inzwischen Claudia Roth gesprochen. Da wäre ich sowieso gegangen.
SZ-Live-Ticker: 15.30 Uhr: Kein Neonazi-Marsch in Dresden
Der Versammlungsleiter der Neonazis am Hauptbahnhof gibt über Lautsprecher bekannt, dass es keinen Marsch geben wird. Außerdem wird durchgesagt, dass es eine Kundgebung in Leipzig geben soll. Einige Hundert Rechte haben sich am versammelt, sie nehmen die Ankündigung größtenteils schweigend zur Kenntnis.
Ja, irgendwie finde ich das dann auch wieder gut und habe auch Achtung vor den Leuten, die das friedlich ermöglicht haben. Für Leipzig ist es freilich nicht so toll. In Plauen scheint auch gerade eine rechte Kundgebung stattzufinden. Aber so kann das in Dresden in den nächsten Jahren einfach nicht weitergehen
Wenn Neonazis schlau wären, dann würden sie öffentlich erklären, dass sie künftig auf Besuche Dresdens verzichten. Um der Bevölkerung diesen jährlichen Ärger mit linken Gewalttätern zu ersparen. Sie würden sich schlagartig deutliche Sympathien bei der Bevölkerung erschaffen. Ich habe sehr überlegt, ob ich das hier schreiben sollte – nicht dass ich am Ende noch an solchen Sympathien schuld bin.
Nachtrag: Hier hat jemand die Videos und Bilder des Tages gesammelt
Ich musste heute vormittag arbeiten und war etwa 15.00 Uhr am Hauptbahnhof.
Wenn man im Bahnhof ein paar Minuten zum Warten gezwungen ist, den Leuten beider Lager in die Augen schaut und sich die Parolen anhört, zweifelt man kurzzeitig am Grundprinzip der Demokratie. Ein Mensch, eine Stimme — und die dürfen alle wählen? Das ist der beste Anschauungsunterricht dafür, dass man Extremismus auf beiden Seiten bekämpfen muss.
Aber ich habe auch beobachtet, dass sich viele »Demonstranten« eher wie harte (sogenannte) Fußballfans verhalten haben, inklusive der rituellen Haßgesänge (den Gegnern die Knochen brechen oder sie in der Elbe ertränken oder …). Hätte man beiden Seiten Fan-Schals umgebunden, wäre kaum ein Unterschied erkennbar gewesen. Unreifes Gehabe …
Ich bin dann erst man mehrere Kilometer allein durch fast menschenleere Straßen gelaufen, um wieder Luft und einen klaren Kopf zu bekommen. Das kann man alles gar nicht rational erklären. Die Leute könnten doch alle einen friedlichen Samstag verbringen, stattdessen fahren sie teilweise hunderte Kilometer, um sich gegenseitig Hassgesänge darzubringen (oder eben Barrikaden anzuzünden und die Polizei anzugreifen).
Heute muss ganz eindeutig auch wieder die Rolle von Coloradio hinterfragt werden, die spielen z.B. Teile von autonomen Hassgesängen auf die Polizei (ich verstehe den Text als Aufruf, Steine und Molotow-Cocktails auf die Polizei zu werfen).
Danke, Frank, für Deinen Artikel, der in der Wortwahl und seinem Tonfall den Finger gut auf die vielen Wunden im Umfeld des heutigen Tages legt.
Wie man Gesicht zeigen soll, wenn gar nicht klar ist, wo – nun, dafür ist diese Stadt doch ein wenig zu weitläufig.
Ich bin gespannt, ob die Medien zum selben Schluss wie Du gelangen werden: dass die Stadt versagt hat.
Kleine Anekdote: vorhin hielt mich eine junge Frau, die aufgrund ihrer Erscheinung dem linken Spektrum zuzuordnen war, an der Ecke Dammweg/Eschenstraße an. Wie das Kaninchen auf die Schlange blickte sie in Richtung des VW-Bus mit Polizisten, der jenseits der Brücke über die Eschenstraße geparkt hatte. Ob es noch einen anderen Weg ins AZ Conni gebe. Ich habe ihr dann geraten, es über den Dammweg und die Tannenstraße zu versuchen. Keine Ahnung, wovor sie sich so sorgte. In den nächsten Minuten sah ich immer mehr junge Menschen, die in der Dämmerung mit irgendwelchen Leuchten Kartenmaterial studierten und offensichtlich nach dem AZ Conni suchten.
Die Gegendemonstranten haben jedenfalls in diesem Jahr mehr Polizisten verletzt und offensichtlich auch größere Schäden angerichtet als je zuvor — glaubt man SZ-online und DNN-online. Ich selbst habe es auf der Strehlener Straße brennen sehen.
Das ist nicht der Stadt anzulasten. Was hätte die Stadtverwaltung denn heute anders machen sollen?
Das Gefühl. dass es in Dresden dieses Jahr schlimmer war als in den Jahren zuvor, bekam ich auch, als ich nachmittags zu Hause die Ticker von SZ und TAZ, sowie Twitter verfolgte. (Ich halte sonst gar nichts von Twitter, aber in solchen Fällen ist es eine tolle Sache).
Dass es gebrannt hat, ist selbstverständlich nicht direkt der Stadtverwaltung anzulasten, sondern solchen sympathischen Mitmenschen, wie sie in diesem Video zu bewundern sind, aber indirekt halte ich die Stadt aus den im Text beschriebenen Gründen schon für mitschuldig an den Auswirkungen.
Den Vergleich mit den Fußballfans sehe ich genauso. Letztlich ist es ja auch nichts anderes, denn mit politischem Links-Sein oder mit Politik überhaupt hat diese Sucht nach Action sowieso nichts zu tun.
Ich bin keine Expertin, aber meinen Gefühl nach hat die Stadt (wen auch immer dieser vage Begriff umfasst) durch ihr jahrelanges Zögern eine Art Vakuum hinterlassen, in dem sich jetzt Extreme beider Lager ausbreiten. Es gilt, sich die Stadt wieder zur ureigensten Causa zu machen.
Das jahrelange Zögern war sicher ein Fehler. Ich finde aber auch dieses „Konzept der Trennung“ falsch. Man kann darin zwar auch positive Aspekte sehen (letztes Wochenende hat es ja aus der Position der Polizei weitestgehend funktioniert), aber das Problem ist: Wenn jemand gegen eine Aktion oder gegen die Anwesenheit ungeliebter Anderer protestieren möchte, wird er sich doch nicht damit zufrieden geben, dies ganz woanders tun zu sollen. Übertrieben gesagt: Wenn Berlin das Jahrestreffen der Serienmörder stattfindet, werde ich mich nicht damit abspeisen lassen, meinen Protest dagegen in Görlitz zeigen zu dürfen. Gegendemonstranten werden immer dorthin wollen, wo sich die kritisierte Personengruppe befindet oder der kritisierte Vorgang abläuft.
Bestes Beispiel ist doch die Frage eines älteren, völlig normalen nicht-Dresdner Ehepaares, wo denn die offizielle, von der Stadt organisierte Kundgebung sei.
Stand glaube ich in der SZ heute, bin mir aber nicht sicher.
Hab natürlich auf Deinen letzten Beitrag antworten/ergänzen wollen und wie immer einfach abgeschickt, ohne nochmal zu gucken, ob die richtigen Knöpfchen betätigt wurden. Wenn es geht, kannst Du das gern verschieben und diesen erläuternden Beitrag hier löschen.
Nachher habe ich in (Jan. 2016: nicht mehr online) diesem Video des MDR (ganz unten auf der Seite!) erfahren, dass es angeblich offizielle Versammlungsorte für Gegner auf der Neustädter Seite gegeben hat. War mir auch neu.
Ach, ich lasse es so (Grund: Faulheit) – es ist ja nachvollziehbar, worum es geht.
Was tun gegen Nazis? Brav an der Strecke stehen und böse schauen, aber ja nichts machen, weil ist ja alles verboten und illegal? Oder _symbolisch_4 km entfernt blockieren, wie von Politikern gefordert?
Welchen von diesen rechten Hohlbirnen wird das beeindrucken?
Was schlägt der Autor dieses Artikels denn konkret vor, damit die Nazis nicht mehr mit ihrer Ideologie auf der Straße aufmarschieren können? Oder meint der Autor, man solle um des Rechtsstaates Willen und für die Demokratie das alles zulassen?
@ Josef:
Böse muss man dabei nicht gucken, ansonsten kein schlechter Vorschlag. Denn zumindest würden die Rechten so sehen, dass es eine ganze Menge Leute gibt, die sinngemäß zeigen: „Ja, demokratische Grundrechte gelten (leider) auch für Euch, aber Ihr seid hier nicht erwünscht. Dresden wünscht eine schöne Heimfahrt!“
Sowas ist gut für medienwirksame Fotos und fürs Selbstgefühl, aber ansonsten freilich sinnlos. Allerdings sollte man sich auch als anders Demonstrierender immer fragen, warum man das eigentlich wirklich tut. Ein hübscher Text dazu: “Politischer Kampf als Wellnessprogramm“
Wahrscheinlich keinen. Bei den (angeblich linken) Krawalltouristen übrigens auch keinen. In diesem (aus meiner Sicht recht ausgewogenen) Video sagt der Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt: „Dialog ist gut, aber er wird die Verbohrten nicht klüger machen“.
Ganz ehrlich: Keine Ahnung! Wenn ich die ultimative Lösung hätte, wäre ich damit zur Stadtverwaltung gegangen oder hätte zumindest einen Artikel darüber geschrieben. Ich pendle meinungsmäßig zwischen:
– Lassen wir die Nazis doch einfach marschieren, allerdings ohne jegliche Gegendemo und vor allem ohne Beachtung durch Journalisten – dann wird denen das bald langweilig
und
– Dresden braucht ein komplettes Versammlungsverbot im Umfeld des 13. Februar. Das würde – so ganz nebenbei auch die Vorwürfe mit unserer angeblichen Dresdner Opferrolle aus dem Weg räumen.
Dazwischen liegt meine lang diskutierbare Meinung:
– Wir Deutschen haben aber durchaus eine historische Verantwortung, dass Faschismus nie wieder aufkommt! Insofern sind Blockaden von Neofaschisten schon ethisch richtig. Sie sind nach aktueller Gesetzeslage zwar illegal, aber Gesetze waren nicht naturgegeben, sondern wurden von Menschen gemacht und haben sich in unserer Geschichte immer weiter entwickelt. Also sollten wir Menschen unsere Gesetze auch immer wieder neu überdenken. Teilweise wurden heute als selbstverständlich empfundene Gesetze früher auch nur durch radikale Verstöße gegen bestehende Gesetze erkämpft, also durch vorherige Gesetzesbrüche.
Man findet ja für jede Position immer irgendeinen Prominenten, der etwas Passendes dazu geäußert hat. Rechtsphilosoph Dreier schreibt beispielsweise: „Wer allein oder gemeinsam mit anderen öffentlich, gewaltlos und aus politisch-moralischen Gründen den Tatbestand einer Verbotsnorm erfüllt, handelt grundrechtlich gerechtfertigt, wenn er dadurch gegen schwerwiegendes Unrecht protestiert und sein Protest verhältnismäßig ist.“
Da sehe ich allerdings jede Menge Auslegungsmöglichkeiten: Ohne dass ich Nazis verharmlosen will – was ist denn im konkreten Fall „schwerwiegendes Unrecht“, gegen welches am 13. und 19.2. protestiert wurde? Dass die Nazis die Europäische Geschichte falsch darstellen? Da könnte man sagen, dass das niemandem weh tut und dass es noch ganz andere Fälle von (teilweise gewollter) Unwissenheit gibt. Und die Gegenseite (also die Rechten) könnte bei einer solchen Herangehensweise genauso sagen: Wir protestieren gegen das schwerwiegende Unrecht, was Dresden widerfuhr!
Insofern ist es auch wieder fragwürdig, Gesetzesbrüche als zivilen Ungehorsam darzustellen: Was, wenn eines Tages Nazis auf die gleiche Idee kommen? Ganz so blöd, wie wir uns das gern einreden, sind die ja schließlich auch wieder nicht. Angenommen, irgendwo ist es eine linke, eine sonstige demokratische Demo oder einfach der nächste Christopher-Street-Day geplant. Und Nazis sagen: Wir blockieren das, weil wir so etwas ablehnen. Für uns ist das notwendiger ziviler Ungehorsam …
Dann wird es für uns Nazigegner langsam eng mit der Argumentation!
Dazu kann ich leider ebenfalls nur sagen: Weiß nicht. Viele sagen, „Ja, das muss Demokratie auch aushalten“. In der heutigen SZ gibt es dazu den (aus meiner Sicht) ganz guten Artikel “Der Stadt Dresden fehlt eine politische Haltung“, in welchem der Autor meint, nein – alles müsse sie doch nicht aushalten. Und wenn man sich die Initiatoren der Neonaziaufmärsche ansieht, findet man immer wieder klare Aussagen „Wir sind keine Demokraten!“ – z.B. bei Spreelichter (hier kein link). Und da könnte man schon einwenden: Wenn sie keine Demokraten sind, dürften sie konsequenterweise auch keine demokratischen Grundrechte wie Versammlungsfreiheit in Anspruch nehmen. Eine klare Grundlage, um den nächsten Aufmarsch zu verbieten! (Könnte ich aber auch gleich selbst wieder argumentativ widerlegen …)
Übrigens: Nur weil Nazis nicht herkommen dürfen, sind sie nicht aus der Welt! Sie sind ja immer noch vorhanden. Neofaschisten sind nicht irgendwelche Aliens, die irgendwoher kommen und dann glücklicherweise wieder weg sind, wenn wir sie nicht mehr sehen. Nein – sie sind immer noch vorhanden, nur woanders. Und hinter jeder dieser Personen steckt auch immer ein konkreter Mensch. Jemand, der aus irgendwelchen Gründen zu solchen Positionen gefunden hat. Sollte man vielleicht auch einmal bedenken.
„Was, wenn eines Tages Nazis auf die gleiche Idee kommen?“
Dann muss die gepriesene Zivilgesellschaft ihrerseits die Naziblockade blockieren. Man muss als Gesellschaft die Werte, die man vertritt , eben auch vertreten (im Sinne von Beine auf der Straße). Die abstrakte Auslegung durch Juristen bringt uns da nicht weiter (ausgerechnet Juristen, die arbeiten doch _jedes_ Gesetz ab das man ihnen vorlegt (/Vorurteil).
Mir ist das Beispiel aber ein bißchen weit hergeholt. Dass es so viele werden, muss vorher verhindert werden. Die Gesellschaft hat in diesem Zusammenhang zum Beispiel auch die Pflicht, mehr für Kultur, Bildung und Jugendarbeit zu tun, das muss ja nicht immer Geld sein. Nationalsozialismus war im bisher 7jährigen Schulunterricht meiner Tochter nicht ein einziges Mal Thema. Mit 13 (eben 7.Klasse) ist es aber bei manchen schon fast zu spät, habe ich den Eindruck.
Ansonsten spielt (Neo)Nazismus für mich persönlich schon in einer anderen Liga, gerade für uns Deutsche. Da sollten wir weniger tolerant sein.
Blockaden blockieren? Dann ist der Weg möglicherweise doppelt versperrt (wenn man es falsch herum angeht) 😉
Ja, dass man in der Erziehung ansetzen muss, ist schon richtig, aber das ist keine vollständige Garantie dafür, dass Jugendliche später nicht doch zu Rechten werden. Das Thema hatte ich kürzlich schon mal kurz mit Jane im „Neustadt-Geflüster“. Möglicherweise hast Du dort „Neustadt am 13. Februar wahrscheinlich nazifrei“ auch mit verfolgt, ansonsten (ehe ich alles nochmal hierher kopiere): klick!
Dass die Angelegenheit mit den Sitzblockaden und dem zivilen Ungehorsam gar nicht so einfach zu entscheiden ist, zeigte sich gut in dem oben schon erwähnten MDR-Video (Jan. 2016: nicht mehr online), was ich mir inzwischen angesehen habe. In der Zeit 21:30 – 26:30 min geht es genau um das Thema und da kann man sehen, was man sich da persönlich als ganz selbstverständlich klingende Auslegung hineininterpretieren kann (Position von Caren Lay, Bundesgeschäftsführerin Die Linke) und wie man das sofort wieder auf den Boden der Tatsachen holen kann (Position ihrer Gesprächspartner). Interessant fand ich die Aussage des Polizeipräsidenten Horst Wawrzynski (28:20 min), er selbst würde zivilen Ungehorsam auch für sehr wichtig halten. Blockaden seien ein Grenzfall, den man ggf. so halbwegs akzeptieren könne, solange keine körperliche Gewalt auftritt. Was ich auch interessant fand: In der sog.
Wunsiedel-Entscheidung hat man durchaus schon einmal gegen neofaschistische Aufmärsche entschieden und sich damit über das Versammlungsrecht hinweg gesetzt. Also scheint es da durchaus Ansätze zu geben.
Abschließend noch zwei Zitate aus der Sendung, die mir im Gedächtnis blieben:
Was würde passieren, wenn dir die Rechten nicht auf die Straße ließen? (Also, was wäre dann die Reaktion bei denen, welche Tendenzen würden daraus bei denen entstehen?)
Der Rechtsstaat lebt eben gerade davon, dass er auch den Feinden des Rechtsstaates die Rechte gewährt
Echt, davon lebt der Rechtsstaat? Ich dachte immer von Steuern und vor allem Papier. Oder ist Papier eher zu den Ausscheidungen zu rechnen?
Das mit der Erziehung habe ich mitbekommen, sicher reicht es nicht, das Thema in der Schule zu behandeln. Ich wollte nur Rufen „Und wer soll das bezahlen? Mehr Eigeninitiative! etc.“ erstmal außen vorlassen. Mir kommt das manchmal doch ein wenig merkwürdig vor, wir werden in den Medien ja doch recht häufig mit dem Thema Drittes Reich konfrontiert, die entsprechende Thematik wird aber in der Schule erst so spät behandelt.
Worauf ich hinaus will: Ich habe den Eindruck (der täuschen mag), dass Initiativen gegen extremistische Tendenzen, da vor allem gegen Rechtsextremismus, nie (=sehr selten) von der bürgerlichen Mitte begonnen und geführt werden. Sowas kommt immer irgendwie aus dem „linksalternativen“ Milieu, hat mit Akzeptanz- und Finanzierungsproblemen zu kämpfen und ist logischerweise auch öfter Ziel feindlicher Angriffe. Vielleicht kommt daher auch ein wenig das Unverständnis auf „bürgerlicher“ Seite über Blockadeaufrufe etc. Die sind eben auch nie Opfer rechtsextremistischer Gewalttaten.
Die Schulthematik wäre eben auch mal easy von unseren Legitimierten zu realisieren, ohne dass da groß Geld oder Gesicht gezeigt werden muss. Initiative schon gar nicht, man schreibt es halt einfach in den Lehrplan Klasse 3 UND Klasse 8.
Garantie ist das natürlich keine, aber es wäre ein Schritt aus der staatlichen Diffusität (falls es das Wort gibt).