Dresden von Skandal erschüttert!
Viele werden den zwar wieder gar nicht bemerkt haben, doch da es mir wichtig ist, dass gerade in unserer ach-so-schnelllebigen-Zeit wichtige Ereignisse nicht gleich wieder in Vergessenheit geraten, möchte ich dem Vorfall wenigstens einige Zeilen widmen.
Passiert ist folgendes: Eine Dresdner Künstlerin malt seit Jahren gern historische Persönlichkeiten, und zwar nackt (bzw. „nacksch“, wie der Dresdner sagt). Ja, gut – warum auch nicht. So sehen Menschen nun einmal aus (obwohl ich bei Erika Lusts Version der Mona Lisa Zweifel anmelde). Jedenfalls war bei der Künstlerin anscheinend gerade die Aufarbeitung der Neuzeit angesagt und so entstanden zwei Bilder von unserer Oberbürgermeisterin Frau Orosz in der gewohnten Darstellung. Für jeweils 1.500 € erhältlich, allerdings kaufte es keiner. Vielleicht lag es an den Preisen, die für echte Kunstsammler unter der Wahrnehmungsschwelle liegen (wenn es so billig ist, kann es ja nichts Bedeutendes sein), vielleicht hatten auch nur zu wenig Leute die Internetseite gefunden, auf der die Gemälde gezeigt wurden … Doch wir haben immerhin sehr engagierte Kunst-Förderer in der Stadt: BILD Dresden. Diesem Kulturmagazin lag schon immer daran, dass Künstler bekannt werden und von ihren Produktionen auch leben können. Allerdings weiß man dort auch, dass eine simple Erwähnung wie: „neue Bilder von … zu sehen in …“ kaum einen ihrer Leser von der Couch hochtreibt. Also muss man schon etwas Reißerisches als Überschrift anbieten (und das gleiche mache ich gerade auch, einfach mal, um das feeling der Redakteure zu bekommen). Deshalb wurde getextet: „Oberbürgermeisterin Orosz ganz nackt im Internet!“ Die wiederum war laut abgedrucktem Text schockiert. Da sich aber leider manche Dresdner gar keine Meinung BILDen wollen und die erwähnte Zeitung nicht lesen, engagierte sich Dresden Fernsehen als weiterer Unterstützer und sendete eine Umfrage zu dem Thema. Damit war das Ziel erreicht. Denn wie man auf der Seite von Frau Lust inzwischen sehen kann, steht „verkauft“ neben den beiden Werken. Neben den anderen Bildern steht dieses Wort nicht, was also aus rein marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Orosz-Serie absehbar macht.
Nun ist das alles bis hierher kein erwähnenswertes Thema. Wenn Frau Orosz halbwegs pfiffig ist, orientiert sie sich als CDU-Frau einfach am parteiinternen Vorbild Helmut Kohl und sitzt das aus, ohne überhaupt noch ein Wort darüber zu verlieren. Denn Helmut war oft genug Titelbild-Lieferant der Titanic und hat das – soweit ich weiß – immer erwähnungslos ausgesessen. Wie sehr es im Gegenteil schief gehen kann, wenn man sich empört über eine unangenehme Darstellung öffentlich ereifert, zeigte 1993 ein berühmtes Titelbild* im Eulenspiegel. Damals hatte die staatlich anerkannte Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley allen Ernstes – und es gibt ja nun wirklich Grenzen – Helmuth Kohl zum Kaffee eingeladen. Die Folge war eben jenes Bild, auf der man sie mit Kohl nackt beim Sex sehen konnte. Gewisse Körperteile waren hinter einer Kaffeekanne verborgen. Die Reaktion der beiden lief folgendermaßen ab: Schlau war wie üblich Herr Kohl, der kein Wort verlor. Nicht ganz so schlau war Frau Bohley, die sich furchtbar aufregte. Die Folge war, dass der Eulenspiegel noch monatelang „mit Bärbel Bohley-Garantie“ titelte, was der Auflage anscheinend sehr gut tat. Ich als Abonnent habe mich auch immer gefreut und sofort die Artikel über die Dame gesucht. Dass ich hier mit dem Eulenspiegel komme, ist kein Zufall, denn als Leser bin ich durch diese Fachzeitschrift an Nackt-Darstellungen berühmter Politiker gewöhnt und über das Orosz-Bild alles andere als geschockt. Und als ich diese alte Zeitschrift heute wieder einmal hervorkramte, bemerkte ich, dass diese Satire wenigstens voll ins Schwarze getroffen hatte, was man dagegen von Frau Lusts „Frau Orosz wirbt für das Welterbe“ irgendwie nicht ganz so sagen kann. Da gibt es für die Dame wohl noch viel zu lernen.
Jedenfalls veröffentlichte der Künstlerbund dann einen Offenen Brief, womit wir nun endlich unseren Skandal erhielten: „Medienskandal um Künstlerbund Dresden“. Denn BILD hatte geschrieben: „Was muss sich heutzutage ein Politiker eigentlich alles bieten lassen? (…) der von der Stadt mit 35 000 Euro finanziell unterstützte „Künstlerbund Dresden“ zeigt jetzt auf seiner Internetseite (…) ein anstößiges Gemälde.“, worauf der Künstlerbund konterte, „erstmals in seiner zwanzigjährigen Geschichte ist der Künstlerbund Dresden e.V. aufgrund durch die Boulevard-Presse erzeugten Drucks zu einer Zensur gezwungen“, denn man hatte das Bild dort inzwischen entfernt.
Gut – über BILD ist schon viel und eigentlich alles geschrieben worden, über ihre CDU-Verbundenheit und auch über ihr allgemeines Niveau. Folgendes ist aber allgemein anzumerken:
- Ein Verband ist nicht für die Aktivitäten und Produktionen aller seiner Mitglieder zuständig. Da könnte man auch dem Anglerverband den Empfang von Fördermitteln vorhalten, nur weil ein Angler einmal einen Politiker kritisiert hat. Das hat nicht der Verband zu verantworten, sondern nur der konkrete Mensch, der zufällig auch Angler ist.
- Warum hat andererseits der Künstlerbund das Bild überhaupt erst auf seiner Internetseite veröffentlicht, wenn er nun schreibt,er hätte „kein Interesse daran, Personen und Persönlichkeiten in schlechtes Licht zu rücken oder zu verunglimpfen“?
- Wieso entfernt der Künstlerbund aber noch „anders herumer“ das Bild von der Seite? Denn anders als „vorauseilenden Gehorsam“ kann man das nicht bewerten. Und den haben wir 1989 als etwas erkannt, was im Sinne von Meinungsfreiheit und Demokratie absolut abgelehnt werden muss. Dann sollen sie doch bitte dazu stehen. Es ist doch nur ein Bild. Wieso war man überhaupt gezwungen, es zu entfernen?
- Ist es also in Ordnung, das Bild zu zeigen? Darf Kunst alles? Tja, wenn man das diskutieren will, begibt man sich auf das übliche Glatteis. Es ist dasselbe Thema wie „darf Satire alles?“ Ich gehe immer davon aus: Freiheit bedeutet, dass man alles machen kann, was einem körperlich, geistig, finanziell und physikalisch möglich ist. Allerdings nur, solange es andere Lebewesen nicht in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt. Man darf also auch einmal jemanden nackig malen, allerdings könnte es geschehen, dass dem das bei einer Veröfffentlichung nicht gefällt. Und dann sollte man schon die eventuell absehbaren Konsequenzen ertragen können. Und man sollte einplanen, dass Richter sich möglicherweise nicht davon beeindrucken lassen, wenn man sagt, „war aber Kunst, bzw. Satire!“.
Eher nebensächlich ist, dass auch unser fast schon vergessenes Dresdner Hauptthema „Waldschlösschenbrücke“ hier noch seine Auswirkungen zeigt. In den Kommentaren bei Dresden Fernsehen kamen bald wieder Meinungen, die den Künstlerbund aus Brückengegnersicht zum aktuellen Ersatz-Helden hoch zu stilisieren begannen, wogegen sich dieser allerdings mit „der Künstlerbund Dresden e.V. lehnt in dieser Situation jeglichen Beifall von Brückengegnern ab“ verwehrt.
Ich habe gerade überlegt, ob ich noch schreibe: „Und nun noch der lustige Abschluss dieses Textes: Mal sehen, ob ich die ausgegebenen 3.000 € von der Steuer absetzen kann und was die Kollegen zu den Bildern sagen werden.“ Aber das ist irgendwie albern.