Kunst und Kultur
Ich wurde heute auf folgende hübsche Aktion aufmerksam gemacht, bei der eine Künstlergruppe Angelika Merkel bei Ebay versteigert hatte: „Zustand gebraucht, visionslos“. Das ist schon eine lustige Idee, obwohl es ja laut Ebay-Grundlagen gar nicht geht – aber egal. Deshalb hat die Künstlergruppe es auch bei Ebay auf den Philippinen gemacht, wo man die Regelungen betreffs Kanzlerinversteigerungen anscheinend etwas lockerer hält. Die Sache ist vorzeitig abgebrochen worden, wobei der Ausgang sehr interessant gewesen wäre. Auch, was das für alle Beteiligten für Konsequenzen gehabt hätte. Wie hoch waren eigentlich die Versandgebühren? Als Päckchen geht die Merkel doch sicher nicht mehr durch?
Ist aber auch egal. Was mich an der Sache beschäftigt hat: Wieso ist es erwähnenswert, dass die Initiatoren eine Künstlergruppe sind? Ist das nicht völlig nebensächlich? Wäre die Aktion uninteressanter gewesen, wenn es eine Gruppe von Maurern oder Kleingärtnern getan hätte? Oder ist umgekehrt jede Menschengruppe, die eine mehr oder weniger lustige Aktion macht, automatisch eine Aktionskünstlergruppe? Fragen über Fragen. Ich denke aber, die Versteigerer haben das aus Gründen der rechtlichen Absicherung getan, sich so zu bezeichnen. Denn für den Normalmenschen könnte es recht unangenehme juristische Konsequenzen haben, einfach mal so die Kanzlerin zu versteigern. Doch wenn man nachher sagen kann: „War aber Kunst!“, dann ist man fein raus. Denn welcher halbwegs intelligente Mensch wird sich schon auf dieses intellektuelle Glatteis begeben, eine Sache zu kritisieren, wenn sie doch ganz klar als „Kunst“ deklariert wurde? Wo es doch das Prinzip der „künstlerischen Freiheit“ gibt? Man stellt sich doch sofort ins gesellschaftliche Abseits, wenn man so etwas kritisiert. „Der hat ja aber auch gar keine Ahnung“, werden sofort alle über einen tuscheln. Und wer will das schon?
Wenn unsere Politiker etwas pfiffiger wären oder bessere Berater besäßen, hätten sie dieses Konzept längst selbst aufgegriffen. Hartz4? War Aktionskunst! Oder Konzeptionismus oder sowas. Sofort wären alle Kritiker stumm und die Gebildeten unter den Hartzies würden wieder SPD wählen.
Jedenfalls wird man da schon neidisch, was in der Hauptstadt so los ist. Wie trübe sieht es dagegen bei uns in der Provinz aus? Bei uns streitet man sich bestenfalls um eine Kunstaktion, bei der trübes Kanalisationswasser betrachtet werden kann. Das ist schon seit einiger Zeit angedacht: Es soll mitten in der Stadt ein Treppenstieg hinunter zur Kanalisation gebaut werden, wo man einen Blick in die Kanalisation und auf „hinter einer Glasscheibe träge dahinfließendes Mischwasser“ werfen kann.
Dagegen ist nicht viel zu sagen, denn die Kanalisation ist schon etwas sehr wichtiges und interessantes. Die Stadtwerke hatten im letzten Jahr Führungen darin angeboten und waren überrascht von dem hohen Interesse der Dresdner. Ja, insofern kann man gern eine solche Sache bauen, wenn es doch offensichtlich Interesse dafür gibt.
Nun hat das aber ausgerechnet eine Künstlerin bei einem Wettbewerb als Projekt eingereicht und damit gewonnen. Und nun haben einige Kommunalpolitiker und die „Dresdner Morgenpost“ in dem Zusammenhang Worte wie „Klo-Kino“, „Fäkalkunst“ und sogar „Kloakenkunst“ verwendet. Das sorgt natürlich für Diskussionen, zumal „Kloakenkunst“ auch schon von den Nazis verwendet wurde. Einerseits dürfte der betreffende Abgeordnete, der zuerst „Kloakenkunst“ ausgesprochen hat, sicher nicht der intelligenteste sein. Ich hoffe, dass er in einer Partei ist, die ich nicht wähle. Andererseits stelle ich mir das Politikerleben in der Beziehung auch wieder recht kompliziert vor: Vor jeder Wortmeldung sollte man die Liste aktuell politisch unkorrekter Wörter überfliegen, denn wie schnell kann die Karriere sonst beendet sein! Das wäre mir zu anstrengend. Und was soll das eigentlich? Wenn man sich die Bedeutung des Wortes Kloake einmal ansieht, ist das – wertungsfrei betrachtet – sogar eine völlig korrekte Bezeichnung für Franka Hörnschemeyers Projekt „Trichter“.
Aber da es nun einmal Kunst ist (wurde ja von einer Künstlerin eingereicht) kann man nicht so unsensibel damit umgehen. Wenn es allerdings nicht von einem Künstler ausgelöst worden wäre – na dann wäre es etwas anders. Angenommen, die Stadtwerke hätten sich nach dem festgestellten Interesse der Dresdner an ihrer Kanalisation in Absprache mit der Stadt folgendes überlegt: Wir öffnen an einer Stelle einen Abschnitt der Kanalisation, damit sich das immer alle Interessenten ansehen können. Dazu beauftragen wir völlig unkompliziert einen Architekten, einen Eingang zu entwerfen, den wir anschließend bauen werden.
Wenn es so gelaufen wäre, dann hätten wir den Kanalisationszugang nach der entsprechenden Zeit einfach und kaum jemand würde kulturpolitische Gedankenkomplexe dazu entwerfen.
Ob der Entwurf nun von einem Architekten oder einer Künstlerin stammt: Sachlich betrachtet, ändert das nichts am (künftigen) Ist-Zustand des Ergebnisses. Es wird nur ein Bauwerk sein, nichts weiter. Eine Treppe nach unten, eine Glasabdeckung. Aber da der Urheber die Bezeichnung „Künstler“ trägt, ist das Ergebnis logischerweise Kunst, und ist somit auf einer viel höheren Ebene zu diskutieren. Das ist das Prinzip der Andy-Warholschen Suppenbüchse: Irgendwer behauptet, etwas sei Kunst. Und solange keiner widerspricht und im Gegenteil ausreichend viele Menschen „ja, stimmt!“ sagen, dann ist es wirklich so. Es gibt ja keine nachprüfbaren Kriterien für Kunst. Dazu fällt mir spontan Max Goldt’s „Wie gut, daß ich ein Künstler bin!“ ein.
Aber wenn ein Architekt diesen Einblick in die Kanalisation geplant hätte, dann hätten wir ihn um 50% kostengünstiger bekommen 😉
Kommt auf den Architekten an! Am billigsten wäre es sicher geworden, wenn man es im Rahmen von Schulprojekttagen von ein paar Schülern hätte entwerfen lassen.