Eine kurze Gegenrecherche für die Sächsische Zeitung
„Dresden ist deutsche Feinstaub-Hauptstadt“ – unter diesem erschütternden Titel konnte man in der Sächsischen Zeitung gestern lesen: „Dresden ist deutschlandweit besonders stark von Luftverschmutzung betroffen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte am Montag eine Studie vorgestellt, in der Daten aus 1.100 Städten in 91 Ländern ausgewertet wurden. Gemessen wurde eine Luftverschmutzung vor allem durch Feinpartikel mit zehn Mikrometern (PM10) oder weniger.
Auf der Liste der WHO finden sich auch 59 deutsche Städte. In Wolfsburg war die Luft nach dieser Untersuchung am saubersten. Dort fanden sich 17 Partikel in einem Kubikmeter Luft (2008). Mit 31 Partikeln findet sich Dresden am Ende der untersuchten deutschen Städte wieder, noch hinter Berlin und München (je 26), Leipzig (28) oder Cottbus und Weimar (je 29).“
Nun haben wir durchaus Luftverschmutzung in Dresden, was durch die Tallage noch verstärkt wird. Aber sind wir deshalb wirklich Spitzenreiter in Deutschland? Die Gegenrecherche war nicht sehr kompliziert: Ich tippte bei Google „feinstaubwerte deutschland“ ein und landete auf dieser Übersichtskarte des Umweltbundesamtes (UBA). Dort kann man sich die Mengen von Feinstaub (PM10)* aus vielen deutschen Städten anzeigen lassen. Und da sieht es für Dresden im Vergleich gar nicht so schlecht aus**, egal von welchem ausgewählten Tag man sich die Karte anzeigen lässt. Kann man diesen Daten des UBA trauen? Woher stammen sie? Sind sie aktuell? Das UBA selbst erklärt dies so: „An rund 450 Messstationen in Deutschland wird die Feinstaubkonzentration in der Luft gemessen und von den zuständigen Behörden der Länder aktuell im Internet veröffentlicht. Das Umweltbundesamt (UBA) veröffentlicht aktuelle Feinstaubdaten für ganz Deutschland in Kartenform“ auf der o.a. Seite.
Es liegen also ständig aktuelle Daten*** vor. Aber wie kommt dann die völlig abweichende Aussage der WHO zustande, die in der SZ erwähnt wird? Das steht im SZ-Artikel: „Allerdings sind viele der WHO-Daten schon mehrere Jahre alt.“ Ist das Wort Dilettantismus für die WHO hier angebracht, wo doch der Abruf aktueller Daten so einfach ist? Und könnte man von Mitarbeitern einer Tageszeitung eventuell eine kurze Überprüfung solcher Meldungen erwarten?
Der Umgang mit Google scheint für manche immer noch eine knifflige Sache zu sein …
Nachtrag: Auch der SPIEGEL brachte gestern unter dem Titel „Dicke Luft bringt Millionen Menschen den Tod“ diese Information. Selbstverständlich ist Luftverschmutzung ein großes Problem, aber wenn dann im Text steht, „in Deutschland ist Dresden (…) die Stadt mit der größten Luftverschmutzung“ und etwas weiter unten in einer Tabelle „Die schmutzigsten Städte Deutschlands“ Dresden ganz oben steht, dann finde ich das schon ein wenig unfair.
Nachtrag 2: Am darauffolgenden Tag veröffentlichte die SZ einen längeren Artikel „Wie schmutzig ist Dresdens Luft wirklich?“ (online nur gegen Bezahlung verfügbar), der die Angelegenheit etwas realistischer darstellte und auch genauer erklärte, wie solche Messwerte zustande kommen.
—————————-
(* PM10 bezeichnet die Masse aller im Gesamtstaub enthaltenen Partikel, deren aerodynamischer Durchmesser kleiner als 10 µm ist.)
(** Was natürlich nicht bedeutet, dass man deshalb auf weitere Verbesserungsmaßnahmen verzichten darf)
(*** Selbstverständlich darf man auch diese kritisch betrachten. Beispielsweise könnte man fragen, wo sich die Messstationen in den Städten konkret befinden, aber auch das ist alles ermittelbar.)
Besser wäre es wohl, sich statt Tagesdaten die Statistik für ein Jahr anzuschauen. Und da sieht es bei Städten mit mehr als 500.000 Einwohnern für Dresden nicht so gut aus.
http://www.env-it.de/umweltbundesamt/luftdaten/documents.fwd?comp=PM1#PM10
Und was sagst Du zum heutigen Artikel der SZ? Hat sie sich damit in Deinen Augen rehabilitiert? http://www.sz-online.de/nachrichten/artikel.asp?id=2875416 (Bezahlschranke)
@ worstenbrood: Durchschnittswerte über längere Zeiten sagen tatsächlich mehr aus. Ich hatte gestern mehrere Tageswerte angesehen und überall denselben Trend gesehen, dass viele Städte deutlich höhere Werte als Dresden hatten. Und ich hatte noch überlegt, ob ich hier auf genau dieselben Jahrespläne mit verweisen sollte (ich wollte nur den Artikel halbwegs kurz halten). Denn mit diesen Jahresübersichten könnte man sich ausrechnen, auf welchem Platz Dresden wirklich in Deutschland liegt (und das hätte auch die WHO tun können). Der höchste Dresdner Jahresmittelwert von 2010 (31 µg/m³) wurde an der Bergstraße gemessen, was freilich nicht besonders verwunderlich ist: massenhaft Kfz, die hoch zu Gas geben und runter zu bremsen, viele Transporter, die mit (Feinstaub erzeugendem) Diesel fahren. Es gibt aber mehrere Messstationen in anderen Städten mit deutlich höheren Werten. Da müsste man nun jeweils den Durchschnitt der Städte ausrechnen … liest hier eventuell ein Lehrer mit, der an seine Schüler eine praxisbezogene Mathematik-Hausaufgabe vergeben möchte?
Dass Dresden nicht die sauberste Stadt ist – davon gehe ich auch aus. Aber ich bezweifle eben, dass wir die schmutzigste sind.
Die Frage ist natürlich auch: Wo stellt man eigentlich solche Messstationen auf? An der Bergstraße wurde sie bestimmt aufgestellt, weil dort sicher ein besonders kritischer Punkt ist. Stehen die Stationen in allen Städten an solchen Stellen? Wenn es neuerdings um Sauberkeits-Rankings geht, werden wohl bald die ersten Städte Messstationen mitten in Stadtparks aufstellen …
Und wo hat die WHO gemessen? Haben die eigene Messungen durchgeführt oder nur die Daten der offiziellen Stationen ausgewertet?
@ Muyserin: Du meinst wahrscheinlich „Wie schmutzig ist Dresdens Luft wirklich?“ und den Kommentar „Kein Grund zur Panik“? Ich war soeben am Briefkasten und: Ja, das halte ich für wesentlich realistischer. Hätten sie das gestern gleich so gebracht, hätte ich mir den Artikel sparen können 🙂
Mal sehen, ob die Links zur (für alle lesbaren) SZ-mobile-Ausgabe heute im Tagesverlauf irgendwann erreichbar sind – momentan wird da ein Fehler angezeigt.
Ich fand den o.g. Artikel in der Printausgabe auch recht ausgewogen, vor allem die Hinweise auf die Mess-Stellen. Es scheint: Je weiter weg der Auftraggeber der Studie von Dresden ist, desto mehr Unsinn wird verbreitet …
Wie werden denn die Links für die „mobile“ Ausgabe gebildet? Muss man dafür die Nummer des Artikels kennen?
Das mit der Mobil-Ausgabe ist immer mein Trick, auch an die Artikel heranzukommen, die eigentlich hinter der „Bezahlschranke“ liegen. Man muss dafür aber an exakt dem Tag, wo der Artikel im Druck erschienen ist, sofort unter
http://mobil.sz-online.de/
oder
http://pda.sz-online.de/
nachsehen und sich den Link speichern. Eine Suchfunktion gibt es da nicht und eine Möglichkeit, ältere Artikel wiederzufinden, habe ich auch noch nie gefunden. Gestern funktionierte der Zugang zu dieser Seite aber zunächst nicht und als es abends wieder klappte, waren dort schon die Artikel für heute zu sehen.
Dresden scheint dreckscher zu sein als Leuna – und dafür bin ich ’89 auf die Straße gegangen? 😉
Mit den Zahlen ist das ja immer so eine Sache; da spielen viele Faktoren mit hinein, wie du schon angeschnitten hattest, Frank.
Soweit ich weiß, ist Dresden eine der wenigen, wenn nicht gar nicht die einzige, in der der MIV vor dem ÖPNV Vorrang hat. Ampelschaltungen für Fußgänger sind mitunter auch etwas für „Sprinter“ (hab’s vorgestern wieder am A-Park erlebt).
Nun kann man nicht alles auf’s Auto bzw. die Autonutzer „schieben“ und irgendwie ist allen klar, dass man bessere Luft haben könnte, wenn man häufiger mit dem ÖPNV fahren würde … doch wen interessiert das schon, wenn er gefühlte 10 Minuten und 50 Cent am Tag „sparen“ kann? Wer rechnet schon externe Kosten aus?
Alles in allem freue ich mich auf die Zeit, wenn der „Peak Oil“ wirklich durchschlägt, auch wenn dann (auch für mich, logo) einiges teurer werden wird. Bis dahin freunde ich mich weiterhin damit an, dass Dresden sicher nicht die dreckigste Stadt Deutschlands, doch sicher eine der konservatisten ist 😉
Im Übrigen habe ich mal gehört, dass die Hochhäuser in Gorbitz auch viel Frischluft abhalten – das hatten die Planer in den 1980er offenbar übersehen oder vermutlich eher hingenommen, um schnell & preiswert viele Wohnungen zu schaffen.
Last but not least … vermutlich kann man sich sicher sein, dass einige die natürlichen Gründe für Feinstaub als Hauptursache sehen werden 🙂
Da ich heute (mehr als ein Jahr später) noch einmal auf das Thema stieß: Der SZ-Artikel „Dresden ist deutsche Feinstaub-Hauptstadt“ ist immer noch online lesbar, der ausführlichere „Wie schmutzig ist Dresdens Luft wirklich?” dagegen nicht. Sehr sinnvoll, liebe SZ!
Würde es im Sommer nicht fast jeden Tag Feuerwerke geben, wäre Dresden noch sauberer.
Das ist leider wahr.