Köhlers letzte rhetorische Meisterleistung
Ich stelle fest, dass mir der Text aus der Rücktrittserklärung von Horst Köhler nicht mehr aus dem Kopf geht. Genaugenommen sein Satz: „Diese Kritik entbehrt jeder Rechtfertigung.“
Wie kann eine Kritik einer Rechtfertigung entbehren? Eine Kritik kann einer Grundlage entbehren, also einem berechtigten Grund für die Kritik. Entbehren heißt ja, dass besagte Sache in oder bei der Kritik fehlt. Eine Grundlage der Kritik kann fehlen. Aber wozu sollte einer Kritik eine Rechtfertigung fehlen? Das würde bedeuten, dass jemand etwas kritisiert und sich gleich noch mit dafür rechtfertigt, diese Kritik geäußert zu haben. Aber eine Kritik ist ja bereits die Rechtfertigung für sich selbst. Sonst wäre es keine Kritik. (Von undurchdacht formulierten Kritiken mal abgesehen.)
Man könnte bestenfalls sagen: „Diese Kritik bedarf keiner Rechtfertigung“, zum Beispiel, wenn die Kritik ein bestimmtes Niveau unterschreitet. Ansonsten müsste man einen solchen Satz als billige Ausflucht einstufen, denn eine berechtigte Kritik bedarf durchaus der Rechtfertigung oder wenigstens der Stellungnahme des Kritisierten. Aber Köhler hat diesen Satz ja auch so nicht gesagt. Aber er hat es wahrscheinlich so gemeint. Warum sagt er es dann nicht auch genau so? Damit die billige Ausflucht etwas intellektueller klingt?
Nun könnte man sagen, man müsse diesen einen Satz doch auch nicht so auf die Goldwaage legen. Der ist Herrn Köhler möglicherweise so herausgerutscht. Aber wie schon in meinem letzten Text erwähnt, sollte genau das in diesem Amt nicht passieren. Außerdem trat Köhler mit einem Blatt vor die Kameras – er hatte den Text also vorbereitet. Man möchte ja auch hoffen, dass der „Erste Mann im Staat“ seine Reden vorher ausarbeitet, also durchdenkt, und nicht live daher improvisiert. Zumindest, wenn es sich um eine wichtige Rede wie eine Rücktrittserklärung handelt. Da kann man schon etwas Logik erwarten.
Insofern hat Köhler leider selbst in seiner letzten Rede nur noch einmal bestätigt, dass er eine Sache definitiv nicht beherrschte: Schlüssige Sätze von sich zu geben.
Mal ehrlich, außer Frank und mir wunderte sich keiner über die zuoberst erklärte rhetorische Meisterleistung, deretwegen wir hier schenkelschlagend, mit Tränen in den Augen flachlagen: War das Köhler oder Riechling? Deutsch ist eine für Deutsche knifflig zu erlernende Fremdsprache, und wenn das Gedächtnis auch schon den Schlappmann macht, liest man vom Blättchen ab: »Ich erkläre hiermit meinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten… (Denkpause während der auf das Blättchen geguckt wird, weil der komplizierte Text nicht einprägsam ist) …mit sofortiger Wirkung.« Der Rücktritt des Mannes aus dem Volk ist nur deshalb zu bedauern, weil wir jetzt nur über Westerwelle und Merkel lachen können; es fehlt der Part des dritten Hanswurst im Berliner Schmierentheater.
Mal sehen – vielleicht hat Köhlers Nachfolger wieder das nötige Grundniveau, um unsere Kabarettisten mit angemessenem Stoff zu versorgen.
Vielleicht wollte Herr Köhler mit diesem ominösen Satz zum Ausdruck bringen, dass die Kritik an dem Bundespräsidenten eines besonderen Rechtfertigungsgrundes bedarf. Den Bundespräsidenten darf man nicht einfach mal aus der Hüfte hinaus kritisieren… Könnte dieser Gedanke zur Verständlichmachung dieses Satzes dienen?
Klingt plausibel! Aber vielleicht wollte er uns auch nur ein letztes großes Rätsel mit auf den Weg geben?
Ich mag Rätsel… und Sudoku! 😉